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Henriette Quade zu TOP 04: Neues Asyl- und Aufenthaltsrecht längst überfällig

Die asyl- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik wie auch die konkreten Lebensbedingungen von Menschen, die als Ausländer, als Geduldete, als Asylsuchende oder als Flüchtlinge gelten, hat uns in dieser Legislatur bereits öfter beschäftigt und nicht selten hatten die Oppositionsfraktionen einen großen Anteil daran. Die Unzulänglichkeiten und die Notwendigkeiten, die Ungerechtigkeiten und das Gerechtfertigtsein, die politische Relevanz und die konkreten Ableitungen daraus haben wir dabei meist recht unterschiedlich bewertet.

Heute jedoch deutet sich eine unerwartete und angesichts der ja nicht nur in Sachsen-Anhalt kontrovers geführten Debatten zum Thema Asyl- und Bleiberecht eine Einmütigkeit an.

Was ist der Hintergrund dessen?

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Berichte von Abschiebungen von Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig geworden waren, die also keinen Aufenthaltstitel bekommen haben, ihr Asylantrag wurde abgelehnt, die Ausreise bzw. die Abschiebung konnte aber nicht selten beträchtliche Zeit nicht vollzogen werden, oder sie fielen unter ein der verschiedenen Sonderregelungen. Sie waren im Status der Duldung, einem überaus prekären Status, weil diese Menschen in permanenter Ungewissheit leben mussten. Sie waren im Grunde jederzeit von Abschiebung bedroht, durften nicht oder nur in Ausnahmefällen arbeiten, hatten so kaum eine Chance, sich eine eigenständiges Leben und eine Perspektive zu schaffen.

Zugleich sind diese Menschen in ihrer Heimat bzw. den Ländern, in die sie abgeschoben werden könnten, oftmals von Verfolgung bedroht, haben keine Grundlage für die Sicherung ihres Lebensunterhaltes, teilweise keinerlei Verbindungen in und zu dem Land und sind von existentieller Armut bedroht.

Trotz widriger Bedingungen haben es manche dieser Menschen geschafft, beachtliche Integrationsleistungen zu erbringen und führen ein Leben, das hier seine Wurzeln hat. Ihre Kinder sind oftmals in Deutschland geboren, sprechen perfekt deutsch, besuchen erfolgreich die Schule und betrachten den Ort, an dem sie leben als ihr zu Hause.  

Mit dem Auslaufen von stichtagsgebundenen Regelungen, mit dem Enden altersbezogener Sonderregerlungen, mit dem Auftauchen neuer Unterlagen, manchmal  aber auch aus nicht nachvollziehbaren Gründen, werden diese Menschen dennoch plötzlich zur Ausreise aufgefordert bzw. ihnen wird die Abschiebung angedroht. Abschiebungen sind nicht selten dramatisch. Ein besonderer Fall erregte jedoch öffentliches Interesse und ist in der Tat ein herausragender Fall. Es ist der der Familie in Magdeburg, in der Mitteldeutschen Zeitung Familie Abramow genannt. Diese Familie, Angehörige der kurdischen Minderheit der Jesiden, eine Familie mit 4 Kindern, von denen 2 hier geboren wurden sind, sollte nach Armenien abgeschoben werden. Die Mutter ist ernsthaft krank. Sie leidet an einem posttraumatischen Belastungssyndrom und nach den Äußerungen der Mitarbeiter der Ausländerbehörde Magdeburg war diese Erkrankung offenkundig bekannt. Unangekündigt und im Morgengrauen  sollte die Abschiebung vollzogen werden. Und es kam zu den Ereignissen, von denen wir lesen mussten. Die Familie war offenbar panisch, der Vater wehrte sich, er wurde abgeführt. Die Frau brach, offenbar nach Medikamenteneinnahme zusammen und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden, die Abschiebung des Vaters und der 4 Kinder wurde fortgesetzt. Allein diese Punkte sind aus Sicht meiner Sicht dringend durch die Ausländerbehörde Magdeburg, aber auch durch die einbezogene Polizei und auch durch das Innenministerium zu erklären.

Absolut nicht nachvollziehbar ist jedoch, was im Artikel der Mitteldeutschen Zeitung vom 17.02.2013 beschrieben wird. Hiernach soll die Ausländerbehörde auf die in der Klinik befindliche Frau massiven Druck ausgeübt haben, mit dem Ziel, die komplette Familie abschieben zu können. Das ist schlichtweg skandalös, und hier sind die Behörden eine Erklärung mehr als schuldig.

Erst als die Frau sich in offenkundig größter Verzweiflung versucht die Pulsadern aufschneidet, wird die Abschiebung der Familie gestoppt und die Familie kann zurück zu ihrer Mutter kehren. Wie konnte es zu einer solch dramatischen Situation kommen? Warum war die Familie immer noch in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, obwohl es seit 2008 eine anders lautende Empfehlung und Bitte des Innenministeriums und seit kurzem ja auch einen entsprechenden Erlass und Landtagsbeschluss? Wieso musste die Familie überhaupt abgeschoben werden? Hier erwarten wir Antworten.

Offenkundig waren es diese dramatischen Ereignisse, die den Innenminister zu einem Umdenken in Bezug auf die Bleiberechtsreglungen der Bundesrepublik brachten. Im November 2011 brachte unsere Fraktion einen Antrag „Für ein neues Bleibereicht“ in den Landtag ein. Wir wollten die Landeregierung damals beauftragen, sich auf Bundesebene für ein grundsätzlich neues Bleiberecht einzusetzen, das sich an humanitären statt an Nützlichkeitskriterien orientiert und für die Betroffenen endlich eine dauerhafte und verlässliche gesetzliche Regelung zu schaffen. Der Innenminister sagte in der damaligen Debatte, „dass die vorhandenen Regelungen ausreichend sind, zumindest aber nicht so extendiert werden sollten, wie Sie es vorschlagen.“ Für einige Empörung sorgte damals die Feststellung, dass die gegenwärtigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen auf Dauer zu inhumanen Lebensbedingungen führen.

Heute scheint die Sichtweise eine andere zu sein, heute beschreibt der Minister selbst die Situation als teilweise inhuman und sieht Handlungsbedarf. Ich bin sehr froh, dass es zu diesem Umdenken gekommen ist, und ich begrüße das ausdrücklich. Und offenkundig, zumindest war das der Presse zu entnehmen, hat dieses Umdenken auch in der CDU stattgefunden, denn ich habe die Ankündigung gelesen, dass sie dem Antrag von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen wollen. Hier könnte es also ein seltenes Zeichen der Einmütigkeit geben und selbstverständlich ist die Bundesratsinitiative Hamburgs, der sich ja mittlerweile mehrere Länder angeschlossen haben eine richtige und es steht der Landesregierung gut zu Gesicht, wenn sie diese auch unterstützt.

Ich hoffe natürlich, dass sie die Einmütigkeit auch auf die von meiner Fraktion beantragten darüber hinaus gehenden Punkte bezieht. Denn die damit geplante Änderung des Aufenthaltsgesetzes ist nur eine Facette des notwendigen Umdenkens. Es braucht darüber hinaus auch den Verzicht auf restriktive Ausschlussgründe, wie z.B. mangelhafte Ausweisdokumente. Denn Asylsuchenden in Deutschland wird häufig vorgeworfen, durch fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung eine mögliche Ausreise verzögern oder verhindern zu wollen.

Passlosigkeit ist eines der Haupthindernisse für ein Bleiberecht. Das aber ignoriert die Realität von Geflüchteten völlig: Ausweispapiere zu beschaffen und korrekt stempeln zu lassen und dann weiter zu reisen, das sind nicht die Regelbedingungen unter denen eine Flucht geschieht. Die aktive Mitwirkung an den Vorbereitungen zur eigenen Abschiebung dann zur Voraussetzung für ein dann vielleicht doch mögliches Bleiberecht zu machen, ist für Menschen, die auf der Suche nach nichts anderem als einem Leben in Sicherheit und Würde sind, einfach unzumutbar. Es braucht dringend den Verzicht auf so genannte Dublin-II Rückführungen, also Abschiebungen in Staaten, die bei der Einreise nach Deutschland durchquert wurden, in Staaten, die ein menschenwürdiges Leben für Asylsuchende nicht gewährleisten können, ja, es braucht eine grundsätzliche Überarbeitung der geltenden Aufenthalts- und Bleiberechtsgesetze und in der Tat, ist diese eine überfällige Debatte.

Darüber hinaus beantragen wir, dass die Landesregierung sich auf Bundesebene für die Abschaffung der Residenzpflicht einsetzt. Sie ist Teil der zahlreichen Sondergesetze, die für Flüchtlinge und Asylsuchende, die für Deutsche nicht gelten und beschränkt der Bewegungsfreiheit  auf den jeweils  zugewiesenen Landkreis bzw. definierten Aufenthaltsbereich. Ihre Abschaffung ist seit Jahren Forderung von zahlreichen Wohlfahrtsverbänden, christlichen Hilfsorganisationen und Flüchtlingsorganisationen  und auch eine der Kernforderungen des Marsch der Flüchtlinge, die im letzten Jahr durch die gesamte Republik zogen und noch immer in Berlin für ihre Rechte eintreten. Die Residenzpflicht ist ein eklatanter Verstoß gegen das Menschenrecht auf Freizügigkeit und eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen in Deutschland lebenden Menschen. In Sachsen-Anhalt ist sie bereits ausgeweitet, es wäre deshalb nur folgerichtig, sie auch bundesweit abzuschaffen.  

Ein weiterer Punkt, auf den wir mit unserem Antrag eingehen ist die geplante Neufassung der sogenannten Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende, die richtigerweise eher Inhaftierungsrichtlinie heißen müsste. Bislang ist es den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union überlassen, die mögliche Inhaftierung Asylsuchender zu gestalten. In Griechenlande beispielsweise, aber auch in anderen Ländern ist eine Inhaftierung von Asylbewerbern unter tatsächlich unmenschlichen Bedingungen, wie mittlerweile bereits mehrere Gerichte festgestellt haben, durchaus üblich und kommt sehr häufig vor. Die Europäische Union hatte sich deshalb bereits 2005 darauf verständigt, ein gemeinsames Asylverfahren für Europa zu etablieren. Das ist prinzipiell zu begrüßen. Auch die Aufnahmerichtlinien sollten im Zuge dessen harmonisiert werden, was aber, wie wir nun sehen müssen keineswegs zu eine Begrenzung oder Abschaffung von Haft führt. Die jetzt in Erarbeitung befindliche Richtlinie der EU wird nicht zu weniger, sondern zu mehr Haft führen. Denn die Gründe, aus denen ein Mensch dann inhaftiert werden kann, sind so vage, dass sehr viel darunter fällt. Menschen sollen inhaftiert werden können, um ihre Identität zu überprüfen, um das Recht auf Einreise in den jeweiligen Mitgliedsstaat zu überprüfen, aus Gründen der nationalen Sicherheit und Ordnung – undefinierte Rechtsbegriffe - oder auch wegen der Gefahr des Untertauchens, der verspäteten Stellung eines Asylantrages, zur Beweissicherung, also beispielsweise falls es irgendwelche Unstimmigkeiten in den Passdokumenten gibt, was, wie ich bereits sagte, der Realität vieler Flüchtlinge entspricht. Erlaubt werden soll zudem die Inhaftierung von Kindern und Minderjährigen.

Diese Menschen haben kein Verbrechen begangen, ihr einziges Verbrechen ist die Flucht. Der Haftgrund ist ihr Status als Asylbewerber. Das ist ein rechtstaatliches Unding, ein faires Asylverfahren ist so nicht möglich.
Offenkundig gaben hier die Staaten mit restriktiven Haftgründen die Leitlinie bei der Erarbeitung dieser Richtlinie vor. Offenkundig nimmt die Bundesregierung dies hin und deswegen ist es unsere Pflicht als Landtag, hier zu intervenieren und beispielweise im Rahmen der Fachministerkonferenzen und auf der Ebene des Bundesrats für ein Umdenken zu werben. Wenn der Innenminister im Fall der Aufenthaltsgesetze von der Notwendigkeit humaner Regelungen spricht, dann sollte er sich diesem Problem nicht verschließen.