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Eva von Angern zu TOP 7: KInderarmut - Ein Armutszeugnis in einem reichen Land

Anrede,

Kinderarmut ist nach wie vor eines der prägendsten und gravierendsten Probleme in unserem Land.

Am 1. Januar 2005 trat das SGB II in Kraft, mit gravierenden, prekären Auswirkungen auf die Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen. Kinder wachsen in Deutschland in Familien auf, die armutsgefährdet sind oder Leistungen der Grundsicherung (SGB II) beziehen. Es wächst somit ein beträchtlicher Anteil an Kindern über Jahre mit Mangel, Verzicht, fehlenden Freizeitmöglichkeiten sowie sehr eingeschränkten sozialen und kulturellen Aktivitäten auf.

Dabei können sich diese Erfahrungen sehr nachteilig auf die Zukunft und die späteren Chancen der betroffenen Kinder auswirken. Denn mit Armut gehen zu oft geringere Bildungschancen, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Ausgrenzung und fehlendes Selbstbewusstsein sowie psychische Belastungen einher.

Im Jahr 2017 leben 74.560 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von staatlicher Grundsicherung. Das bedeutet, dass fast jedes vierte Kind in unserem Land in einem Haushalt lebt, in dem weniger als 60% des Median aller Nettoäquivalenzeinkommen vorhanden ist. Wir stehen damit hinter Berlin und Bremen auf Platz drei des traurigen Länderrankings. Armut bedeutet in unserem reichen Land nicht VERHUNGERN. Sondern: Entbehrungen, Ausgrenzung und Benachteiligung gegenüber dem Rest der Bevölkerung.

Anrede,

Das Problem der Kinder- und Familienarmut ist bereits seit Jahren bekannt. Soziale Sicherheit ist ein soziales Menschenrecht und unverzichtbar zur Verwirklichung des Kindeswohls gemäß Artikel 3 UN-Kinderrechtskonvention. Wenn wir das Sozialstaatsgebot unserer Verfassung als wesentliches Grundprinzip unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens tatsächlich ernst nehmen, dann müsste die Bekämpfung von Armut zu den zentralen Aufgaben des Staates gehören und wir würden heute über eine Selbstverständlichkeit debattieren.

Die politische bzw. parlamentarische Realität sieht jedoch leider anders aus. Was ist der Grund, was sind die Ursachen dafür? Jedes Jahr anlässlich des Kindertages werden die aktuellen Zahlen, wie viele Kinder in Deutschland in Armut leben bzw. von Armut gefährdet sind, veröffentlicht. Aber wie sieht die gesellschaftliche, die politische Resonanz aus?

Die politischen Reaktionen reichen insbesondere von Ignorieren, über Beschönigen, Verharmlosen, die Probleme individualisierend (die Eltern sind doch selbst Schuld.) Im Ergebnis dessen sieht man keinen Handlungsbedarf, bzw. das Phänomen Armut wird als alternativlos dargestellt.

Anrede,

Ich war kürzlich bei einem Unternehmer in Wolfen. Jemand, der sich auch gesellschaftlich engagiert. Ich sagte ihm, dass ich mich politisch gegen Kinderarmut engagiere und Mitstreiter auch in der Wirtschaft suche. Er schaute mich groß an und fragte ehrlich überrascht, ob es denn in Deutschland überhaupt Kinderarmut gäbe. In Deutschland verhungere doch schließlich niemand. Und genau diese Aussage macht die Brisanz deutlich!

Armut gehört inzwischen seit vielen Jahren zu unserem Land, zum Alltag. Wir haben uns daran gewöhnt. Wir sehen alte Menschen, die Flaschen aus Mülleimern suchen, um ein paar Cent dafür zu kriegen. Uns allen sind die Zahlen bekannt, die jährlich veröffentlicht werden und wiederholt darlegen, dass alleinerziehende Frauen mit einem und mehr Kindern das höchste Armutsrisiko in Deutschland haben. Jeder Bildungsbericht weist nach, dass in kaum einem anderen europäischen Land der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen in so großer – negativer – Abhängigkeit stehen, wie in Deutschland.

Wer von uns kommunalpolitisch aktiv ist, weiß, wie die Zahlen der Kinder stetig steigen, die täglich die Tafeln unseres Landes aufsuchen, um eine warme Mahlzeit am Tag zu bekommen. Und auch wenn es niemand gerne hört, aber ja, eine schlechte Ernährung infolge von Armut bedeutet zugleich eine schlechtere Gesundheit und eben auch einen früheren Tod.

Wie fasst es die EU-Kommission in diesem Jahr nüchtern, sachlich zusammen? „Die insgesamt günstige Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung der letzten Jahre ist nicht in allen Teilen der Gesellschaft gleichermaßen angekommen.“ Mal unabhängig davon, dass ich schon nicht verstehe, warum man aus Gründen der Verteidigung der Menschenwürde nicht gegen Armut vorgehen will, so verstehe ich nicht, dass nicht allen klar ist, welche Gefahr von einer Spaltung für unsere Gesellschaft ausgeht. Denn, das muss genau so deutlich gesagt werden: Die Spaltung unserer Gesellschaft ist handgemacht.

Die abgeschaffte Vermögenssteuer, die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53% auf 42% und die Abgeltungssteuer haben die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre zu verantworten. Und Sie alle wissen, vor welche erheblichen Probleme uns diese Entscheidungen auch im Landeshaushalt gestellt haben. Die EU-Kommission bescheinigt uns, dass die deutsche Politik im hohen Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen hat. Tolles Zeugnis für Deutschland! Ein Armutszeugnis!

Wer nun denkt, dass nur erwerbslose Menschen oder Familien mit mindestens einem erwerbslosen Elternteil von Armut bedroht sind, geht fehl.Es ist festzustellen, dass auch der gesetzliche Mindestlohn – zumindest in der momentanen Höhe – nicht vor Armut schützt.

Warum haben Kinder, warum haben Menschen, die in Armut leben eine so kleine Lobby? Ich erlebe es immer wieder, dass es viel schicker, öffentlichkeitswirksamer, gesellschaftsfähiger ist, als Sponsor für den 1. FCM oder den HFC aufzutreten, als für ein Frauenhaus (öffentlich) zu spenden.Ich will den Sport nicht gegen die Frauenhausarbeit ausspielen.

Doch, meine Damen und Herren, es ist ein absolutes Armutszeugnis, dass in unserem reichen Land, die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern auf Spendensuche gehen müssen, um regelmäßig Spielzeug für die Kinder, die Schutz vor Gewalt suchen, zur Verfügung zu haben oder Waschmaschinen, die die Wäsche der Frauen und Kinder wäscht. Weder Gewalt noch Armut ist ein individuelles Problem. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das wir nicht der Lösung Einzelner zu überlassen haben, sondern gesellschaftlich angehen müssen. Daher kommt es auch nicht auf die Größe oder Lautstärke der Lobby an. Wir haben hier eine gemeinsame Verantwortung!

Nun haben wir im Land andere Spielräume als die Bundespolitik.Doch wir sollten gemeinsam die Bundespolitik daran erinnern, was getan werden muss, um Kinderarmut zu bekämpfen. Da ist der Vorschlag des Deutschen Kinderschutzbundes und weiterer Verbände nach Einführung einer Kindergrundsicherung ein sinnvolles Instrument.

Daneben werben auch wir Fraktion für die Erhöhung des Kindergeldes. Wenn wir aber wollen, dass dieses Geld wirklich bei denen ankommt, die es dringend brauchen, dann müssen wir klären, dass keine Anrechnung des Kindergeldes bei Sozialleistungen erfolgen darf. Denn sonst profitieren die Kinder von uns Abgeordneten von der Erhöhung, aber nicht die Kinder, die es wirklich brauchen.

Selbstverständlich brauchen wir auch eine Erhöhung des Mindestlohnes und ein Zurückdrängen der Minijobs und eine Stärkung der Gewerkschaften bei der Forderung nach der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Denn arme Kinder leben bei armen Eltern. Doch all diese Forderungen haben wir bereits in anderen Anträgen gestellt, deshalb haben wir uns auf das oben genannte heute fokussiert.

Nun gibt es vielleicht Kolleg*Innen unter uns, die jetzt feststellen, dass sie das alles gar nicht gewusst haben. Stimmt, Armut hat ein anderes Gesicht in Deutschland als in Zentralafrika. Doch es gibt sie auch in Deutschland. Mit verheerenden Folgen für viele Kinder und Familien. Deshalb werbe ich heute namens meiner Fraktion für ein gemeinsames Engagement gegen Kinderarmut.

Anrede,

Kinderarmut ist nicht individuell, sondern nur durch eine gesellschaftliche Antwort zu bekämpfen. Lassen Sie uns gemeinsam gegen Kinder- und Familienarmut wirksamer vorgehen. Lassen Sie uns streiten für altersgerechten Bedarfe und für eine „echte“ Teilhabe von Kindern – unabhängig von den individuellen und vielfältigen familiären Hintergründen. Lassen Sie uns gemeinsam die Spirale durchbrechen, um kein Kind zurückzulassen und ihnen allen letztendlich eine Zukunftschance zu geben.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!