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Wulf Gallert zu TOP 01: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Herrn Dr. Reiner Haseloff zum Thema: „Arbeit schaffen, Wissen vermitteln, Verantwortung stärken“

Die Aussprache zur heutigen Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten kann in der vorgegebenen Zeit nur eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Zielbestimmung der nächsten Legislaturperiode enthalten. Basis für diese Auseinandersetzung sind neben der eben gehaltenen Regierungserklärung der Koalitionsvertrag der CDU-SPD-Koalition als auch die Wahlprogramme der vorhergehenden und jetzigen Regierungsparteien sowie entsprechende Wahlkampfaussagen, die die letzten Wochen und Monate maßgeblich bestimmt haben.

Legt man den Koalitionsvertrag der CDU-SPD-Koalition zu Grunde, muss man wohl im Wesentlichen davon ausgehen, dass die Politik der letzten fünf Jahre in weiten Teilen unverändert fortgesetzt wird. Dieser Eindruck wird vor allem dadurch verstärkt, dass der vorliegende Koalitionsvertrag überwiegend aus völlig unverbindlichen Allgemeinplätzen besteht, deren Formulierungen fast alles zulässt. Lassen Sie mich an dieser Stelle nur einmal ein Beispiel anführen. Da steht z. B. auf der Seite 26, Pkt. 3.2 unter der Überschrift Forschung und Entwicklung: „Wirtschaftlicher Erfolg in Sachsen-Anhalt wird zukünftig noch stärker davon abhängen, ob die einheimischen Unternehmen in der Lage sind, neue Produkte, Ideen oder Verfahren zu erschaffen. Deshalb liegt in der Stärkung der Innovationsbereitschaft und Innovationsfähigkeit der hiesigen Unternehmen ein Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik des Landes. Ziele sind die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes und ein integrierter und umfassender Ansatz der Forschungs- und Innovationspolitik. Dazu ist die bisherige Innovationspolitik des Landes zu überprüfen und anzupassen.“

Auf all diejenigen, die sich in den letzten 15 Jahren auch nur ansatzweise mit Wirtschaftspolitik beschäftigt haben, dürfte diese Passage aus dem Koalitionsvertrag so neu sein wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche. Ich kenne jedenfalls niemanden, der ab Ende der Neunziger Jahre diesen Satz ernsthaft bezweifelt hätte. Interessant wäre höchstens, die Frage zu beantworten, ob man mit der bisherigen Entwicklung zufrieden ist und ob man der Meinung ist, ob man irgendetwas ändern müsse. Aber diese Fragen werden natürlich nicht beantwortet. Insofern hätte man sich diese Passage eigentlich sparen können. So, wie man sich in diesem Koalitionsvertrag sehr viel hätte sparen können.

Der eigentliche Hintergrund dieses Festivals der Unverbindlichkeiten ist jedoch eher, dass man in den wesentlichen Dingen so weiter machen will wie bisher. Und die politische Auseinandersetzung wird sich deshalb zu Beginn der Legislaturperiode eher darum drehen, ob der Weg der letzten fünf Jahre wirklich erfolgreich war, ob die gegebenen Rahmenbedingungen optimal genutzt wurden und ob demzufolge eine Legitimation dafür existiert, diese Politik nun ungebrochen weiterzuführen.  

Lassen Sie mich das an einem Beispiel noch einmal kurz darstellen. Eine der wichtigsten Wahlkampfthesen der jetzigen Koalition war die Behauptung des jetzigen Ministerpräsidenten, des vormaligen Wirtschaftsministers, 80.000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen zu haben. Nun kann man auch für die Zukunft gern darüber streiten, inwiefern der Vertreter einer Partei, die ohnehin lieber den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft propagiert, behaupten solle, dass jeder in Sachsen-Anhalt entstandene Arbeitsplatz von ihm bzw. der Landesregierung geschaffen wurde. Umso mehr, wenn aus seinem eigenen Haus Bilanzen vorgelegt wurden, nach denen die Zahl der neu geförderten Arbeitsplätze knapp bei 20.000 liegt.
Wie kam also die alte Landesregierung zu solch glamourösen Zahlen? Denn nach der Aussage desjenigen, der diese Statistik erstellt hat, wendete man im Wesentlichen zwei Rechentricks an, die die Seriosität einer solchen Bilanz nicht nur in Frage stellen, sondern sie eigentlich verneint. Da vergleicht man zuerst den Beginn der Legislaturperiode März 2006 mit dem Oktober 2010, wohl wissend, dass es in jedem Jahr im Oktober deutlich mehr Arbeitsplätze als im März gibt. Geht man an die ganze Sache seriös heran, und vergleicht bspw. Dezember 2006 mit Dezember 2010, so reduzieren sich die 80.000 um 44.000 auf 36.000 Arbeitsplätze.  
Und dazu kommt noch, dass bei dieser Berechnung diejenigen Bereiche, die mit öffentlicher Daseinsvorsorge zu tun haben und die durch einen starken Arbeitsplatzabbau gekennzeichnet waren, einfach herausgerechnet werden, weil man für diesen Arbeitsplatzabbau im Gegensatz zu den anderen Bereichen entweder nicht zuständig war oder ihn sogar befürwortet hat.

Aber ich habe eingangs gesagt, dass bei der Beurteilung, ob eine Politik auf Landesebene erfolgreich oder nicht erfolgreich war, entscheidend ist, wie man die Rahmenbedingungen genutzt oder nicht genutzt hat. Welche Erfolge oder Misserfolge solche Rahmendbedingungen zugelassen haben, lässt sich immer am besten durch einen Vergleich mit den anderen ostdeutschen Bundesländern erfassen, in denen die Ausgangsbedingungen ähnlich sind. Und da muss man, bezogen auf die Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze, eben festhalten, dass Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern die geringsten Fortschritte gemacht hat.

Schaut man sich dann die Qualität dieser Arbeitsplätze an, kommt man noch zu einem ganz anderen Ergebnis. In einer gemeinsamen Studie meiner Fraktion und des DGB in Sachsen-Anhalt, die das ISW Halle erstellt hat, ist nachzulesen, dass die Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt, anders als in den anderen ostdeutschen Bundesländern, ohne Wachstum des Arbeitsvolumens von statten ging und - das die logische Konsequenz - sogar mit einem Rückgang an Vollzeitarbeitsplätzen verbunden war.

Und die Konsequenz dieser Entwicklung konnte man in etwa vor 14 Tagen erfahren, als fast zeitgleich zwei Meldungen über unser Land Verbreitung fanden: Lt. Bertelsmann-Stiftung ist Sachsen-Anhalt das deutsche Flächenland mit der höchsten Betroffenheit von Kinderarmut, übrigens eine rote Laterne, die wir uns erst in den letzten zwei Jahren erarbeitet haben, und die Arbeitnehmerentgelte sind im Jahr 2010 in Sachsen-Anhalt mit 1,8 % nicht nur unter das ostdeutsche (auch gesamtdeutsche) Niveau, sondern auch unter die Inflationsrate gefallen.

Diese Politik wird von CDU und SPD als erfolgreich betrachtet, und diese Politik soll nun fortgesetzt werden. Dagegen wenden wir uns, und dies wird unsere grundsätzliche Kritik auch weiterhin hervorrufen. Nehmen wir uns in diesem Zusammenhang einmal die zentrale Frage der Gestaltung der Arbeitsbedingungen in Sachsen-Anhalt vor. Sachsen-Anhalt war und ist das Land mit den niedrigsten Stundenlöhnen in der Bundesrepublik Deutschland. Dies war nicht nur Thema im Wahlkampf, sondern bleibt auch weiterhin eine der großen Herausforderungen für die Landespolitik. Deshalb ist es für uns außerordentlich wichtig, den Koalitionsvertrag nach Antworten auf diese Fragen zu untersuchen. Das Erste, was dabei auffällt, ist eine substanzielle Lücke. Während im letzten Koalitionsvertrag noch keine Verständigung zum gesetzlichen Mindestlohn beabsichtigt war, fehlt diese Passage jetzt völlig, und damit auch die Forderung. Dies ist umso überraschender, als noch drei Wochen vor der Wahl der SPD-Spitzenkandidat zusammen mit dem Kollegen Steppuhn einen Fünf-Punkte-Plan vorlegte, in dem diese Forderung an zentraler Stelle enthalten war.
Umso überraschter durfte man kurz nach der Wahl die Tatsache registrieren, dass diese Forderung im Positionspapier der SPD für die Sondierungsgespräche mit der CDU keinerlei Rolle mehr spielte. In dieser Frage hatte sich also die CDU schon vor Beginn der Gespräche durchgesetzt. Die Erklärung für diesen Vorgang lieferte Jens Bullerjahn kurz vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages auch öffentlich am 6. April 2011 gegenüber dem MDR: „Eine generelle Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn, das haben wir in der SPD schon lange diskutiert, wird es jetzt so auch nicht weiter geben.“

Die Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn ist sicherlich kein Allheilmittel gegen Ausbeutung und Lohndumping. Aber sie ist, und das ist inzwischen international nachgewiesen, eines der wirksamsten Mittel in diesem Bereich, einem Bereich, in dem alle anderen Mittel gerade in Sachsen-Anhalt seit vielen Jahren substanziell versagen. Deswegen ist diese Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn durch bspw. die DGB-Gewerkschaften oder durch Vertreter meiner Partei auch deutliche Mehrheitsposition der Bevölkerung gerade in Sachsen-Anhalt. Bezeichnend ist allerdings, dass die Vertreter der SPD diese Forderung exakt bis zum Wahltag stellen, um danach zu begründen, dass sie sich deshalb davon verabschiedet haben, weil sie diese Auffassung seit langem selbst nicht mehr teilen. Dann aber, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hätte es die Ehrlichkeit geboten, das den Leuten im Wahlkampf klar zu sagen und nicht so tun, als wenn man diese Forderung vertritt.

Aber lassen Sie mich exemplarisch in diesem Koalitionsvertrag einmal diese Frage nach Kampf gegen Lohndumping genauer untersuchen. Da gibt es z. B. auch Aussagen zum Vergabegesetz, ebenfalls ein wichtiges Thema im Wahlkampf. Und zwar ausdrücklich im Zusammenhang mit der Lohnfrage. Da steht nun im Koalitionsvertrag folgender bedeutungsschwerer Satz: „Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen wird zukünftig an europarechtskonforme gesetzliche und tarifliche Standards gebunden.“

Was dies nun wieder heißt, kann jeder für sich anders interpretieren. Das man sich an gesetzliche Standards binden will in dieser Frage, sollte uns erst einmal nicht überraschen, dies dürfte der Bürger in unserem Land von Koalition und Landesregierung eigentlich erwarten, ohne das dies in einem Koalitionsvertrag aufgeschrieben werden muss. Eine Bindung an Tarife kann im umfassenden Sinne ein Vergabegesetz nach dem Rüffert-Urteil, also nach EU-Rechtssprechung, leider nicht mehr leisten. Aus unserer Sicht übrigens ein deutlich besserer Grund für Kritik an der europäischen Union als die gnadenlos populistisch überzogene Debatte einer vermeintlichen europäischen Dieselsteuer.

Geht es um Tarifbindung, kann ein Vergabegesetz eigentlich nur eigenständige Kontrollen und Sanktionen des öffentlichen Auftraggebers festlegen, um Verletzungen der ohnehin schon allgemein verbindlichen Tarife aus dem Entsendegesetz zu verhindern bzw. auch die nicht allgemein verbindlichen Tarife des Verkehrswesens festzuschreiben. Was sagt aber die neue Wirtschaftsministerin, Frau Wolff dazu? Sie spricht von der Abforderung einer allgemeinen Tarifbindungserklärung durch die Auftragnehmer. Natürlich ohne eigenständige Kontrollen. Das ist im Falle von allgemein verbindlichen Tarifverträgen aber völlig überflüssig, weil die ohnehin schon Gesetz sind. Und dort, wo Tarifverträge, mit Ausnahme des Verkehrsbereiches, nicht allgemein verbindlich sind,  darf sie diese Erklärung gar nicht einfordern. Das, was allerdings wirklich gemacht werden könnte, nämlich die Festlegung eines Stundenmindestlohnes bei öffentlichen Aufträgen, findet zumindest nach Lesart von Frau Wolff, definitiv nicht statt.
Nur dann, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere der SPD, ist dieses Vergabegesetz das Papier nicht wert, auf dem es steht.
Und zumindest, wenn die zuständige Ministerin den Koalitionsvertrag so liest und öffentlich interpretiert, ist er im besten Fall völlig schwammig und unverbindlich, im schlechteren Fall aber die endgültige Absage an ein Projektvergabegesetz als Mittel gegen Lohndumping.

Alternativ dazu hat der DGB Anfang des Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, der aus unserer Sicht sehr gut dazu geeignet ist, die vorhandenen Spielräume im Kampf gegen Lohndumping mit einem Vergabegesetz auszufüllen. Meine Fraktion wird nach entsprechenden Konsultationen mit den Autoren dieses Entwurfes diese Vorlage überarbeiten und in die parlamentarische Beratung einbringen. Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie sich entscheiden: Sind Sie für einen wirksamen Kampf gegen Lohndumping oder sind Sie für weiße Salbe?

In den meisten Politikfeldern ist die Qualität des Koalitionsvertrages, also die inhaltliche Basis dieser Koalition, ähnlich schwammig und beliebig. Eben wie ein Pudding, den man nicht an die Wand nageln, also vernünftig bewerten kann. Allerdings gibt es einige wenige Ausnahmen, und diese sind dafür umso klarer.

Zum einen geht es um den generellen Finanzierungsvorbehalt für alle politischen Projekte. Ja sicher, die aktuellen Zahlen der Steuerschätzer eröffnen dieser Landesregierung ziemlich breite Spielräume für die nächsten beiden Haushaltsjahre. Allerdings hat uns die letzte Legislaturperiode gezeigt, wie brüchig solche Prognosen sind. Und zumindest die Fachleute sind sich weitestgehend darüber einig, dass die Ursachen für die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise nicht substanziell angegangen wurden. Insofern ist die Wiederholung solcher Prozesse zwar nicht zu prognostizieren, schon gar nicht in ihrer Dimension, aber eben auch nicht auszuschließen. Vor diesem Hintergrund können kostenträchtige Projekte, wie die Ganztagsbetreuung für alle Kinder in den Kindertagesstätten, so begrüßenswert dieser Weg auch ist, nicht als gegeben bewertet werden.

Eine der wenigen eindeutigen Positionen in diesem Koalitionsvertrag ist jedoch dafür umso erstaunlicher, nämlich die Beschränkung des Neueinstellungskorridors auf höchstens 400 Neueinstellungen pro Jahr im Landesdienst. Der Landtag hat sich in der letzten Legislaturperiode intensiv mit der Personalentwicklung im Landesdienst beschäftigt, er hat eine kritische Analyse des Personalkonzepts der Landesregierung durchgeführt, die ganz maßgeblich dazu beigetragen hat, dass dieses Personalkonzept der Landesregierung korrigiert, oder wie es im Politikerdeutsch heißt, fortgeschrieben wurde. Diejenigen, die sich bspw. in den letzten fünf Jahren in der Enquetekommission damit beschäftigt haben, wissen, welch radikale Einschnitte diese Beschränkung auf maximal 400 bedeutet. Viele andere wissen das offensichtlich aber nicht, sonst hätte der Koalitionsvertrag auf den entsprechenden Parteitagen keine Mehrheit gefunden. Zumindest an den Stellen, die sich unmittelbar widersprechen.

Deswegen kurz etwas zum Hintergrund: In den nächsten fünf Jahren werden pro Jahr im Schnitt rund 2.000 Landesbedienstete in Rente bzw. in den Ruhestand gehen, ein geringerer Teil wird sich eine andere Arbeit suchen. Das letzte Personalkonzept der Landesregierung enthielt im Schnitt 800 Neueinstellungen pro Jahr für die kommende Legislaturperiode. Allerdings, das muss man Fairerweise auch sage, wurde die Interpretationsbreite mit dem näher rückenden Wahltermin immer größer. Je nach Publikum und Referenten sprachen die Vertreter der Koalition von Zahlen, die die 800 eher nach oben korrigierten. Meine Fraktion hat ein Konzept vorgelegt, das in etwa von 1.000 Neueinstellungen pro Jahr ausgeht.

Die jetzt sogar als Höchstzahl definierte Zahl 400 steht im eklatanten Widerspruch zu einer Reihe von politischen Zielen dieses Koalitionsvertrages. Nur ein Beispiel: Nach Berechnungen der GdP müssten die Neueinstellungen im Bereich der Polizei so stark reduziert werden, dass die Aussage, am Ende der Legislaturperiode soll es deutlich mehr als 6.000 Vollzugsbeamte geben, und ich hoffe mal, wir reden hier alle von aktiven Vollzugsbeamten, eindeutig nicht zu halten ist. Die Alternative wäre natürlich, man hält die Mindestzahl von 180 pro Jahr durch und reduziert alle anderen Bereiche radikal. Dann frage ich mich allerdings, was im Bereich der Lehrer passieren würde. Hier werden in den nächsten Jahren jeweils zwischen 500 und 800 die Schule aus Altersgründen verlassen. All diejenigen, die sich mit dem Problem auseinandergesetzt haben, wissen, dass wir bei gleich bleibender Schülerzahl in den nächsten Jahren auf einen gewaltigen Lehrermangel zusteuern. Deswegen wurde in den letzten zwei Jahren z. B. die zweite Stufe der Lehrerausbildung, das so genannte Referendariat, in seiner Jahreskapazität von 150 auf etwas über 300 verdoppelt.
Die logische Konsequenz dieses Koalitionsvertrages ist es, diese viel zu späte Erhöhung sofort wieder rückgängig zu machen, eigentlich noch unter die 150 als Ausbildungskapazität zu gehen und an den Hochschulen dieses Landes jede Debatte um Lehrerausbildung sofort einzustellen. Das ist schlechtweg absurd, und die gesellschaftlichen Zwänge sind viel zu drängend, als dass sie sich nach diesem Koalitionsvertrag richten.

Und siehe da, nach öffentlicher Kritik an diesen Bocksprüngen meinte der Ministerpräsident, man müsse dieses Problem jetzt kreativ lösen und der Finanzminister meint, wenn sich alle Mühe geben, dann ginge das schon. Die Zahl 400 wäre nicht in Stein gemeißelt. Was übrigens stimmt, der Koalitionsvertrag spricht ja auch von höchstens 400. Wenn ich jetzt jedoch lesen muss, dass der alte und neue Finanzminister sagt: „Wir hatten vor der Wahl alle Stellenwünsche der Ministerien zunächst aufgenommen im Wissen, dass diese Zahlen nach der Wahl keinen Bestand haben können.“
Dann ist das genau genommen das Eingeständnis eines Wahlbetruges, denn das Personalentwicklungskonzept aus dem Oktober 2010 ist vom Finanzminister erstellt worden mit genauen Zahlen für den Neueinstellungskorridor für diese Legislaturperiode. Dann wurde es einstimmig im Kabinett beschlossen, und heute sagt er, dass dieses Konzept in dem Wissen beschlossen worden ist, dass man es nach den Wahlen vollständig kassiert. Und dieses Vorgehen wird von der Koalition als völlig normal betrachtet und entsprechend getragen. Die gleiche Koalition, die vor der Wahl völlig andere Aussagen machte – ein für mich und die Betroffenen schlechtweg unfassbarer Vorgang.   

Wenn aber so ziemlich der einzige Passus in diesem Koalitionsvertrag, der wirklich konkrete Feststellungen enthält, nicht wirklich ernst zu nehmen ist, stellt sich für uns die Frage, liege Kolleginnen und Kollegen, was an diesem Koalitionsvertrag überhaupt ernst zu nehmen ist.  

Die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit auch eines leistungsfähigen öffentlichen Dienstes, ist eine langfristige und ernsthafte Aufgabe, gerade unter den demografischen Bedingungen unseres Landes. Deswegen haben wir ein entsprechendes langfristiges Gesamtkonzept vorgelegt. Durch solche Bocksprünge wie hier im Koalitionsvertrag macht man eine verlässliche und dauerhaft erfolgreiche Politik in diesem Bereich unmöglich, selbst dann, wenn sie im Nachhinein wieder korrigiert werden muss.

Außerordentlich kritikwürdig ist aus unserer Sicht im Koalitionsvertrag auch die Ausdehnung von polizeilichen Überwachungsmöglichkeiten, die präventiv, also unabhängig von einem konkreten Verdacht, ausgeweitet werden sollen.
Wir wenden uns ausdrücklich gegen die Illusion, dass die Einschränkung von Bürgerrechten, also von Freiheit, zu mehr Sicherheit führt. Dieser Weg ist in Berlin und in Magdeburg falsch. Wir werden uns entschieden dagegen wehren.

Substanzielle Kritik üben wir ebenfalls an der Verschiebung des Hochschulsektors in das Wirtschaftsministerium. Dabei interessieren uns nicht so sehr die machtpolitischen Verteilungskämpfe zwischen CDU und SPD, die im Neuzuschnitt der Ressorts ohnehin zu bizarren Entwicklungen führten. Ein Innenminister ohne Kommunalfinanzen und ein Verkehrsminister ohne Bau, das ist schon eine besondere Leistung. Bei letzterem drängt sich sowieso die Frage auf, warum dieses Schrumpfministerium überhaupt noch existieren muss. Eine sachliche Begründung dafür gibt es jedenfalls nicht.

Bedenklich ist diese Umordnung des Wissenschaftsbereiches vor allem deshalb, weil sie einer vor allem von der CDU auch im Wahlkampf immer wieder propagierten Logik folgt, dass der Hochschulbereich möglichst effizient als Zulieferer für die Wirtschaft dienen soll - sozusagen Absolvent just in time. Natürlich zu allererst für das produzierende Gewerbe, die anderen Bereiche scheinen ohnehin eher sekundär zu sein. Dabei wächst die Gefahr, dass die Freiheit der Wissenschaft, die auch ausdrücklich eine kritische Distanz zu wirtschaftlichen Prozessen beinhaltet, preisgegeben wird. Nach dieser Logik ist die kurzfristige Verwertbarkeit von Wissenschaft deren zentraler Zweck. Dies bedeutet jedoch vor allem eine Verengung von Innovationspotenzialen der Gesellschaft genauso wie den Abbau kritischer Reflektionsmöglichkeiten. Und wenn dann gesagt wird, dass dies alles so nicht gemeint wäre, sage ich, in gewisser Weise doch. Und Klemens Gutmann als Präsident des Dachverbandes der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalts hat dies bspw. sehr genau verstanden. Ein anderer einleuchtender Grund ist uns übrigens bisher noch nicht genannt worden. Da hilft auch nicht die Aussage, dass die Budgets der Hochschulen ohnehin über Zielvereinbarungen gesichert wären. Wer sich im Haushalt genauer auskennt, weiß, dass in diesen Budgets in etwa nur die Hälfte aller Gelder aus diesem Bereich verankert ist und somit Richtungsentscheidungen über die Hochschullandschaft sehr wohl auch neben den Zielvereinbarungen im zuständigen Ministerium getroffen werden können.
  
Lassen Sie mich darüber hinaus noch etwas zum interessanten Feld der Haushaltspolitik sagen. Auf die Frage nach der Refinanzierung von Aufwüchsen und einzukalkulierenden Einnahmereduzierungen findet der Koalitionsvertrag überwiegend nur sehr schwammige Antworten. Klare Ansagen gibt es jedoch gegenüber dem Landtag:

  1. 1Der Doppelhaushalt wird zum Normalverfahren, es gibt keine jährlichen Haushalte mehr.
  2. 2Die Budgetierung wird ausgedehnt.
  3. 3Die verstärkte Möglichkeit von Mittelübertragungen und die Erhöhung von Deckungsfähigkeiten werden eingeräumt.
  4. 4Die Investitionsbank ist kein Instrument des Landes mehr, sondern wird zu einem strategischen Partner definiert.

All diese Punkte mögen, mit Ausnahme des letzten, zu diskutieren sein. Zusammen laufen sie aber klar auf die Aushöhlung des Budgetrechts hinaus, und wer wissen will, wie das in der Konsequenz aussieht, muss sich nur einmal anschauen, wie die Verwendung von EU-Fördermitteln kurz vor und nach den Wahlen ausgesehen hat. Erst sortiert man 40 Mio. Euro aus den Hochwassergeldern in die Dorferneuerung um, und der Landtag erfährt im Nachhinein davon. Uns wird erklärt, dass dieses Geld völlig problemlos bereitgestellt werden könnte, da es faktisch übrig gewesen sei.
Und nach den Wahlen ist zu erfahren, dass eine Reihe von Zuwendungsempfängern mit dem Problem konfrontiert ist, dass sie Mittel nicht bekommen mit der Begründung, es gäbe eine Haushaltssperre auf Grund des Mittelabflusses von EU-Fördermitteln.

Nun wird man als Vertreter der Opposition auch gefragt, ob man an einem solchen  Koalitionsvertrag nicht auch etwas Gutes finden könnte. Um es gleich vorweg zu sagen, dazu zählt aus unserer Sicht keinesfalls der völlig kraftlose Teil im Energie- und Umweltbereich. Trotz Energieagentur, aus welchen Gründen sie auch immer kommen soll. Und wie wenig schwammige oder ungenaue Formulierungen im Koalitionsvertrag den Praxistest bestehen werden, zeigt uns die aktuelle Debatte um den Saaleseitenkanal.

Ja, positiv ist das Bekenntnis zur Ganztagsbetreuung in den Kindertagesstätten für alle Kinder. Positiv vor allem deshalb, weil das jetzt die beiden Parteien beschlossen haben, die diese 2003 im Konsens abgeschafft haben. Mit welcher Begeisterung dies geschieht, dürfte nach den Äußerungen der CDU zu diesem Thema und dem Interview des stellv. Ministerpräsidenten jedem klar geworden sein. Diese Verbesserung ist von CDU und SPD nur auf Grund des politischen Drucks auch und gerade meiner Partei und des gesellschaftlichen Drucks vieler Institutionen und Interessenvertretungen in diesem Land, allen voran der entsprechenden Volksinitiative, zu verdanken. Eines ist uns jedoch klar: Dass dieses Projekt vernünftig umgesetzt wird, kann auch nur durch das Aufrechterhalten dieses politischen und gesellschaftlichen Drucks gesichert werden.

Ja, und positiv kann man auch die Aufnahme der Gemeinschaftsschüler in diesen Koalitionsvertrag bewerten. Auch dann, wenn bis heute nicht klar ist, welchen qualitativen Unterschied es zu der bisherigen Regelung zu den Gesamtschulen wirklich geben soll. Es geht um einen Weg, der bisher immer erfolgreich ausgebremst wurde, und dass die CDU alles dafür tun wird, das Projekt Gemeinschaftsschule zu einer unbedeutenden Marginalie werden zu lassen, hat sie mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht. Was aber auf jeden Fall ausfällt, ist eine wirkliche Stärkung der Sekundarschule, die, und das lehrt uns nun einmal die Erfahrung der letzten zwei Legislaturperioden, eindeutig nur mit einer Öffnung hin zu einer gymnasialen Oberstufe gelingen kann. 

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Worte zur Kultur der politischen Auseinandersetzung in diesem Land sagen. Und dabei werde ich ganz klar die Auseinandersetzungen des Wahlkampfes nicht in einen Mantel des Schweigens hüllen. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU haben in einer Angst-Kampagne vor rot-rot an vielen Stellen die Ebene der sachlichen politischen Auseinandersetzung verlassen. Solche Sätze, wie die des jetzigen Ministerpräsidenten aus dem Februar dieses Jahres „Wählen Sie uns, dann geht es Ihnen gut. Wenn Sie die anderen wählen, dann werden Sie alle enteignet“, waren kein Einzelfall, sondern sie bedienten bewusst eine Angst-Kampagne. Diese Art des Wahlkampfes nimmt ganz bewusst eine Spaltung der Gesellschaft in Kauf, im Interesse des eigenen Machterhalts. Dies ist übrigens keine Erkenntnis zu allererst von mir, sie wurde mehrfach auch vom Spitzenkandidaten der SPD so angemerkt. Natürlich überrascht es mich, wenn man seit dem Wahltag von dieser Kampagne nichts mehr hört. Denn das Ziel des Machterhalts ist erreicht worden. Das Problem besteht nur darin, dass wir wissen, dass Sie diese Art der Auseinandersetzung jederzeit wieder an den Tag legen werden, wenn die Machtposition der CDU gefährdet ist. Wir haben damit im Osten durchaus umfangreiche Erfahrungen, z. B. in Sachsen oder in Brandenburg. Wir werden uns gegen diese Art der Diffamierung immer wehren. Mich wundert nur, dass die SPD, um die es ausdrücklich in dieser Auseinandersetzung auch ging, damit keinerlei Probleme zu haben scheint.

Ein ähnliches Kapitel wurde im Wahlkampf bei dem Vergleich oder besser gesagt der Gleichsetzung zwischen rechtsextremen, rassistischen und faschistischen Positionen auf der einen Seite und linken Politikansätzen auf der anderen Seite aufgeschlagen. Dies bezog sich mitunter auch ausdrücklich auf meine Partei, zum Teil sogar bis hinein ins Persönliche. Auch dazu ein Zitat: „Wir brauchen keine Nazipartei und auch keinen kommunistischen Ministerpräsidenten, das sage ich ganz bewusst und im gleichen Atemzug.“ Da es meines Wissens nur drei MP-Kandidaten gegeben hat und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit weder Herr Haseloff noch Herr Bullerjahn gemeint war, kann sich diese Aussage nur auf mich beziehen. So inhaltlich falsch sie auch immer ist, das scheint hier nicht zu interessieren. Nun könnte man eine solche Aussage als Ausrutscher ignorieren, wenn sie nicht ganz klar Ausdruck einer argumentativen Strategie zu diesem Thema des CDU-Landesverbandes wäre, wie man dem Papier vom 21. Februar 2011 entnehmen kann, nein, sie befindet sich ausdrücklich im Einklang mit den entsprechenden Aussagen im CDU-Wahlprogramm. Wirklich erschreckend ist aber erst, dass dieses Zitat vom jetzigen Innenminister und damit des Dienstherren von Verfassungsschutz und Staatsschutz ist.

Es wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen, ob dieser Stil der politischen Auseinandersetzungen und der politischen Instrumentalisierung Raum greifen wird oder ob es gelingen kann, dauerhaft und nicht nur taktisch zu einem vernünftigen Stil der politischen Auseinandersetzungen zurückzukehren. Gelingt dies nicht, werden die Feinde der Demokratie in diesem Land bestärkt werden, weil für viele die Unterschiede zwischen Demokraten auf der einen Seite und denjenigen, die auf der anderen Seite die Demokratie bedrohen und bekämpfen, nicht mehr erkennbar sein wird. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind sich dieser Gefahr bewusst. 

Herr Haseloff hat nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten dieses Landes, bei der ihm 9 Stimmen aus dem eigenen Lager fehlten, gesagt, dass man ein solches Ergebnis einkalkulieren müsse, weil man im Interesse einer solchen Koalition viele schwierige Kompromisse verhandeln müsse. Ja, Herr Haseloff, da stimme ich Ihnen zu. Das Problem ist nur, dass es vernünftige Kompromisse zwischen Marktgläubigkeit im Arbeitsmarkt und dem Schutz von Arbeitnehmerrechten, zwischen der Verteidigung des gegliederten Schulsystems und gemeinsamem Lernen nun einmal nicht geben kann. Dort nicht und auf vielen anderen Feldern auch nicht. Deshalb ist dieser Koalitionsvertrag, ist diese Koalition von ihren inhaltlichen Projekten weitestgehend undefiniert. Erkennbar ist lediglich der Wille zum Machterhalt, und dies sehr deutlich. Wir werden uns darauf einstellen und mit erkennbaren politischen Konzepten, die wir zum Ende der letzten Legislatur ausgearbeitet haben, hier im Landtag und draußen im Land argumentieren und gesellschaftlichen Druck aufbauen. Wir werden unsere Oppositionsrolle annehmen, diese Koalition hat sie sich redlich verdient.