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Wulf Gallert zu TOP 01 b): Agieren der Landesregierung im Vorfeld der Veranstaltung zur Lehrerfortbildung "Diktaturenvergleich als Methode der Extremismusforschung"

Es ist über 10 Jahre her, dass meine Fraktion politische Bildung in Form einer Großen Anfrage hier im Landtag von Sachsen-Anhalt thematisiert hat. Insofern ist es an sich kein schlechtes Zeichen, dass dieser Bereich nach langer Zeit einmal wieder in das gesellschaftliche Bewusstsein auch mittels einer Landtagsdebatte gerückt wird. Etwas anders dürfte man jedoch den Anlass für diese Aktuelle Debatte einordnen, und der Anlass, das sage ich ausdrücklich, ist nicht das Verhalten von Herrn Erben, sondern die Tagung und deren Konzeption, die hier in Rede stehen. Dazu ist inhaltlich bereits eine Menge diskutiert und ausgesagt worden, ich unterstreiche hier ausdrücklich die Position von Prof. Roland Roth, der bei dieser Tagung von einer politischen Provokation spricht.

Der Gesamtansatz dieser Tagung ist in seinem Ursprung davon ausgegangen, dass allein die Vertreter des so genannten Extremismusansatzes, Prof. Jesse und Dr. Lang sowie Dr. Baron und ein Vertreter des Verfassungsschutzes, für dessen Arbeit der Extremismusansatz im Wesentlichen die ideologische Begründung liefert, dargestellt werden.

Dabei geht es bei dieser Tagung schwerpunktmäßig um den Linksextremismus, der Rechtsextremismus dient hier lediglich dazu, vermeintliche Parallelen aufzuzeigen.

Wer daran ernste Zweifel hat, sollte sich mit den Schriften von Prof. Jesse seit 1990 einmal auseinandersetzen. Von besonderem Interesse ist dabei natürlich, dass in diesen politisch zu bekämpfenden Extremismus in dieser Tagung gleich noch eine Partei und eine Opferorganisation eingeschlossen werden.

Das betrifft meine Partei, zu der ein Dr. Jürgen Lang referiert, der zusammen mit Prof. Jesse ein Buch verfasst hat, das da lautet: „DIE LINKE – der smarte Extremismus einer deutschen Partei“.

Das betrifft aber ebenso die VVN-BdA, eine der Mitgliedsorganisationen der Gedenkstättenstiftung des Landes, die als trojanisches Pferd im Kampf gegen den Rechtsextremismus bezeichnet wurde. Der dazu eingeladene Referent ist übrigens Mitarbeiter des Verfassungsschutzes im Bund, was eigenartigerweise nicht ausgewiesen wurde. Dieser bedauert  übrigens zutiefst, dass die VVN-BdA seit 2006 nun nicht mehr im Verfassungsschutzbericht des Bundes enthalten ist, obwohl diese natürlich seiner Meinung nach linksextremistisch ist.

Interessant ist übrigens die inhaltliche Begründung dieses Rudolf van Hüllen, der aus einem Papier der VVN-BdA in einem Artikel in der Zeitschrift „Freiheit und Recht“ folgendes Zitat anführt: „Wenn Rot-Grün Krieg führt, wenn der sozialdemokratische Innenminister sagt, dass Boot sei voll, dann kritisieren wir das ebenso wie die Kampagne eines Roland Koch gegen AusländerInnen oder die Verstrickung der konservativen Parteien in den Militarismus der BRD.“ Dieses Zitat dient eben diesem Herrn van Hüllen als Beleg dafür, dass die VVN-BdA nicht auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht.

Dies ist wirklich eine Ungeheuerlichkeit. Wer also Kriegseinsätze im Ausland kritisiert, wer eine rigide Asylpolitik kritisiert, wer rechtspopulistische Parolen kritisiert, soll zum Verfassungsfeind erklärt werden. Und das von einem hochrangigen Verfassungsschützer dieser Bundesrepublik Deutschland.

Ja, angesichts solcher Positionen kann einem wirklich angst und bange werden in dieser Bundesrepublik Deutschland. Aber die Bedrohung geht an der Stelle nicht von den so genannten politischen Rändern aus, sondern von denen, die diese Ränder definieren.  

Und hier kommen wir zu dem eigentlichen Problem dieses Extremismusansatzes eines Prof. Jesse, der wiederum der Doktorvater des Dr. Lang ist, der wiederum der Doktorvater des Dr. Baron ist.

Politischer Extremismus wird, wie eben das Zitat des Herrn van Hüllen deutlich vor Augen führt, mitnichten durch eine politische Differenz gegenüber dem Grundgesetz definiert, sondern politischer Extremismus wird hier als dasjenige definiert, was jenseits eines selbstdefinierten Korridors liegt. Und dieser Korridor ist bei den Referenten deutlich nach Rechts verschoben.

Bezüglich des Prof. Jesse hat Heribert Prantl dies einmal mit dem Satz charakterisiert, dass bei der Beurteilung des Rechtsextremismus durch Prof. Jesse der Bock zum Gärtner gemacht worden ist. Erklärtes Ziel von Prof. Jesse ist ausdrücklich das Einbringen rechtspopulistischer Argumentationsmuster in die von ihm definierte politische Mitte der Gesellschaft.

Besonders deutlich sind hier seine Aussagen zu Fragen des Antisemitismus. In dem Sammelband „Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus“ findet man von den Herausgebern Backes, Jesse und Zittelmann folgende Auszüge: Die drei wenden sich dort z. B. gegen die besondere Gettoisierung und Stigmatisierung von Rechtsextremisten und weiter: Man dürfe sich nicht den Blick für die in mancher Hinsicht durchaus progressive NS-Sozialpolitik verstellen lassen und jüdische Organisationen brauchen Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung, um für ihr Anliegen Gehör zu finden. An anderer Stelle schreibt Jesse mit Bezug auf Heinz Galinski, dass man sich über wachsende Judenfeindlichkeit angesichts des Verhaltens einiger Vertreter jüdischer Organisationen ja nicht wundern müsse.

Spätestens jetzt dürfte klar sein, was Heribert Prantl mit seiner Aussage, dass mit Prof. Jesse bei der Beurteilung des Rechtsextremismus der Bock zum Gärtner gemacht wurde, gemeint hat. Prof. Jesse bedient ausdrücklich rechtspopulistische Argumentationsmuster, z. B. im Bereich des Antisemitismus und damit ist natürlich klar, dass er aus dieser politischen Richtung keine ernst zu nehmende Gefahr erkennen kann. Klar ist jedoch, dass die Definition von Verfassungsfeinden durch diese politologische Schule nichts, aber auch gar nichts mit dem Grundgesetz zu tun hat, sondern mit ihren eigenen politischen Anschauungen. Jeder, der das Grundgesetz wirklich verteidigt, droht letztlich von Herrn Jesse irgendwann als linksextrem eingestuft zu werden.

Die Frage stellt sich nun, ob solche Positionen bei einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung sowie der Gedenkstättenstiftung vertreten sein können. Ich sage hier ausdrücklich: Ja, das können sie. Das können sie deshalb, weil die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft solche Positionierung einschließen muss.

Aber das geht natürlich nur, wenn einer der wichtigsten Grundsätze einer demokratischen politischen Bildung beachtet wird, und das ist das Gebot der Kontroversität. Oder anders gesagt, was in Wissenschaft und Gesellschaft umstritten ist, muss auch in der politischen Bildung umstritten dargestellt werden. Dieser Grundsatz, der Anfang der 70er Jahre als Bestandteil des so genannten Beutelsbacher Minimalkonsens aufgeschrieben wurde, soll verhindern, dass politische Bildung zur Indoktrination missbraucht wird.

Und jedem in diesem Raum dürfte bewusst sein, wie schwerwiegend dieser Vorwurf der politischen Indoktrination ist, ja, man kann und muss sagen, dass die Grundsätze des Beutelsbacher Minimalkonsens klar die Unterschiede zwischen der politischen Bildung in einer Demokratie und Indoktrination beschreiben.

Nun steht es ganz bestimmt einer parteinahen Stiftung wie der Friedrich Naumann-Stiftung trotzdem frei, auf eine solche Einseitigkeit zu setzen. Anders allerdings sieht es mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Gedenkstättenstiftung aus. Diese müssen die Grundsätze von demokratischer politischer Bildung als Kern ihrer Tätigkeit annehmen. Und genau das ist bei dieser Tagung - auch nach den kosmetischen Korrekturen - gröblichst verletzt worden. Obwohl in der Politikwissenschaft der Extremismusansatz stark kritisiert und substanziell umstritten ist, wird er hier völlig unreflektiert das einzig glücklich machende Angebot unterbreiten. Deshalb ist es absolut nachvollziehbar, wenn Dr. Thomas Lutz, der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates der Gedenkstättenstiftung, feststellt, dass der methodische Aufbau dieser Tagung wissenschaftlichen Kriterien nicht standhält. Und er geht darüber hinaus davon aus, dass die nun debattierte Veranstaltungsreihe, um deren Auftakt es hier geht, dem Ansehen der Gedenkstätte schadet.

Wer die Grundsätze demokratischer politischer Bildung wirklich ernst nimmt, kann keinesfalls öffentliche Einrichtungen, die parteipolitische Neutralität zu wahren haben, verpflichten, eine solche Tagung durchzuführen. Ich will diesbezüglich einen Politikdidaktiker zitieren, Siegfried Schiele, der 1996 folgendes geschrieben hat: „Jede Unterrichtsstunde und jede Tagung, sofern sie von politischer Bildung im öffentlichen Auftrag veranstaltet werden, müssen den Geist der kontroversen Positionen zum Ausdruck bringen. Es geht ja nicht um den Transport von Gesinnungen, sondern um politische Bildung und von politischer Bildung kann man nur reden, wenn die Grundsätze von Beutelsbach Berücksichtigung finden.“ Diese sind aber, wie ich Ihnen aufgezeigt habe, bei dieser Tagung auf das Gröblichste missachtet worden.

Dass die Mehrheit von CDU und FDP im Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung mit dieser Tagung trotzdem keine Probleme zu haben scheint, spricht Bände. Dies ist aber nicht verwunderlich, weil die Einordnung der Linkspartei als verfassungsfeindlich natürlich politische Zwecke erfüllt, nämlich den politischen Machterhalt der CDU, der dann gefährdet wäre, wenn das linke Spektrum wirklich politisch kooperationsfähig ist. Um das zu verhindern, braucht man den Kollegen Jesse und siehe da, es hat bereits in Hessen einmal funktioniert. Warum soll man diese Strategie, die dort erfolgreich war, nicht auch hier versuchen? Nun gut, auch das ist in einer pluralen Gesellschaft legitim. Aber zu einer demokratischen politischen Bildung gehört es dann auch, dieses Ziel transparent zu benennen. Wer das nicht macht, manipuliert, und er darf dazu vor allem keine öffentlichen Institutionen einsetzen. Deswegen war es völlig korrekt, dass der Vorsitzende der Gedenkstättenstiftung und Staatssekretär im Innenministerium die Mitarbeit dieser Institutionen untersagt hatte.

Lassen Sie mich resümierend feststellen: Inzwischen glaube ich auch, dass ein Vergleich politischer Systeme, und zwar ein Vergleich zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, eine ausgesprochen interessante Thematik für eine solche Tagung wäre. Gerade anhand der Debatte um diese Tagung wäre es wirklich angebracht, über Unterschiede zwischen demokratischer politischer Bildung und der ideologischen Indoktrination, wie sie in der DDR zweifellos realisiert wurde, nachzudenken. Eine sachliche Analyse würde mehr Parallelen deutlich machen, als sich manch einer vorstellen kann.