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Stefan Gebhardt zu TOP 15: Winckelmann-Jubiläen 2017/2018 entsprechend würdigen

Sachsen-Anhalt steht bekanntermaßen vor zahlreichen bedeutenden kulturpolitischen Jubiläen. Wir alle hier wissen, dass das Reformationsjubiläum in Form der Lutherdekade vor der Tür steht, in diesem Zusammenhang wird auch der 500. Geburtstag von Lucas Cranach begangen. Und auch das Bauhausjubiläum 2019 wirft seine Schatten voraus.

Im Zuge dessen droht ein weiterer, mindestens genauso wichtiger kulturpolitischer Höhepunkt etwas unter zu gehen: wir meinen das Winckelmann-Jubiläum 2017/2018. Im Jahr 2017 jährt sich der Geburtstag von Johann Joachim Winckelmann zum 300. Mal, im Jahr darauf, also im Jahr 2018, ist sein 250. Todestag. Bislang scheint jedoch unsere Landesregierung diese Ereignisse überhaupt nicht auf dem Schirm zu haben. Es gibt im Haushalt bisher keinerlei Verpflichtungsermächtigungen oder finanzielle Vorkehrungen, um das Ereignis zu würdigen. Ich kenne keine öffentliche Verlautbarung oder Presseerklärung der Landesregierung, die darauf hindeuten könnte, diesem Jubiläum Beachtung zu schenken. Johann Joachim Winckelmann hat jedoch alle Aufmerksamkeit verdient, und Sachsen-Anhalt kann stolz darauf sein, dass zumindest in Stendal sein Erbe gepflegt wird. Er ist ja ein Sohn unseres Landes.

Für alle, die sich bisher so gut wie nicht mit dem Wirken Winckelmanns beschäftigt haben, will ich kurz erläutern, wer dieser Johann Joachim Winckelmann eigentlich war. Er war Archäologe, Bibliothekar, Antiquar und Kunstschriftsteller der Frühaufklärung. 1717 wurde er in Stendal als Sohn eines Schuhmachers geboren.
Heute gilt er als DER Urheber der deutschen Kunstgeschichte und der Begründer der klassischen Archäologie und als der Begründer des deutschen Klassizismus.
Die Zeit Winckelmanns war die Zeit der Aufklärung. Das damals streng christlich geprägte Weltbild veränderte sich und ein neues Bewusstsein hin zur Freiheit und zur Selbstbestimmtheit des Menschen entwickelte sich. Winckelmanns Wahrnehmung und seine Beschreibung der griechischen und der römischen Kunst legten den entscheidenden Grundstein zur Abwendung vom Spätbarrock und Rokoko des zu Ende gehenden 18. Jahrhunderts. Das von ihm verfasste Hauptwerk „Die Geschichte der Kunst des Altertums“ hinterließen enorme Spuren, die uns heute noch prägen. Kunst wurde nicht mehr nur als Handwerk gesehen, sie wurde vielmehr zur Geistestätigkeit und zum Thema der Wissenschaft.

Als geistiger Begründer des deutschen Klassizismus ist seine Kunstbetrachtung von Sinnlichkeit geprägt. Winckelmann kategorisierte antike Werke mit völlig neuen Maßstäben, einer damals völlig neuen wissenschaftlichen Kunstauffassung.
Für Winckelmann war die Triebkraft die Freiheit der Bürger. Damit stieß er vor allem beim deutschen Bürgertum auf große Zustimmung, denn die Zeit war reif, den Absolutismus abzuschütteln und neuen demokratischen Idealen zu folgen.

Seine neue Denkart und das damit verbundene politische Bild von Freiheit sprach viele seiner Zeitgenossen an, war sie doch das Gegenteil der Lebenswirklichkeit eines Großteils der Menschen im Europa des 18. Jahrhunderts. Der Aufklärer Winckelmann folgte dem Gedanken der politischen Freiheit der griechischen Stadtstaaten im Unterschied zum Zentralismus des kaiserlichen Roms und des absolutistischen Frankreichs.

Wie einflussreich Winckelmanns Kunstverständnis tatsächlich war, können wir alle heute an uns feststellen: Wenn Sie sich vor Ihrem geistigen Auge eine klassische antike Plastik vorstellen, entsteht automatisch das Bild einer klassisch schönen Figur aus weißem Marmor.

Genau das haben wir Winckelmanns Wirken zu verdanken, denn diese unsere Vorstellung entspricht überhaupt nicht der Realität. In der Realität war nämlich die Antike quietschbunt und nicht von weißem Marmor geprägt. Winckelmann hat sozusagen seine idealtypischen Vorstellungen bis heute in unsere Köpfe gepflanzt – oder anders gesagt, Johann Joachim Winckelmann prägt bis heute unser Kunst- und Schönheitsempfinden.

Kein anderer beeinflusste das Nachdenken über Kunst nach 1750 so entscheidender und nachhaltiger als Johann Joachim Winckelmann. Auch das ästhetische Konzept der Weimarer Klassik ist auf das Werk Winckelmanns zurück zu führen. Winckelmann hat definiert, dass Kunst zuerst die Aufgabe hat, schön zu sein und keinerlei Regeln oder Nutzen folgen müsste. Laut Winckelmann ist Kunst zweckfrei und selbstbestimmt.

Wenn wir uns diesen Gedanken Winckelmanns zu Herzen nehmen würden oder ihn zumindest hin und wieder ins Bewusstsein rufen würden, wäre die Kunst- und Kulturförderung in Sachsen-Anhalt schon längst eine andere. Gerade die letzte Haushaltsdebatte hat ja bekanntlich gezeigt, dass immer wieder nach dem Sinn und Zweck von Kunst- und Kulturförderung gefragt wurde – dabei hat uns doch eigentlich der Urheber der deutschen Kunstgeschichte etwas völlig gegenteiliges ins Stammbuch geschrieben.

Man könnte noch viel über das Schaffen von Winckelmann berichten, aber ich denke, als kleiner Abriss seines Wirkens sollte dies vorerst genügen, weil doch jedem klar sein müsste, wie bedeutend und nachhaltig es war. Nun hat Sachsen-Anhalt als Kulturland auch das Glück, dass sich der Geburtsort dieser bedeutenden Persönlichkeit in unserem Land, nämlich in Stendal befindet. In seinem Geburtshaus befindet sich seit 1955 das einzige Museum in ganz Deutschland, das den Begründer der deutschen Kunstwissenschaft und klassischen Archäologie gewidmet ist. Träger des Museums ist die Winckelmann-Gesellschaft, die mit ihren 600 Mitgliedern in mehr als 20 Ländern aktiv ist.
Sehr lohnenswert ist übrigens auch der Besuch des Kindermuseums, welches sich am Geburtshaus befindet – ich glaube, es ist von seiner Konzeption und seiner Attraktivität gerade für die Jüngsten etwas Einmaliges.

Das Kindermuseum gibt es seit 2006, in dem die Kinder z.B. eine Zeitreise in das antike Rom unternehmen können oder sich selbst als kleine Bildhauer ausprobieren dürfen.
Modellhaft ist die Kinderuniversität, die gemeinsam mit der Hochschule Magdeburg-Stendal veranstaltet wird.

Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass es dort auch ein Ausstellungs- und Begegnungszentrum für Senioren gibt, welches dich den Herausforderungen des demografischen Wandels widmet.

Aber nicht nur Stendal als Geburtsort ist ein Winckelmann-Ort in Sachsen-Anhalt.
Winckelmann studierte an der Universität in Halle Philosophie, er war in Osterburg als Hauslehrer tätig und er war fünf Jahre Konrektor der Lateinschule in Seehausen.
Wir fordern deshalb von der Landesregierung ein Konzept zur Vorbereitung der Winckelmann-Jubiläen 2017/2018, welches alle Wirkungsstätten Winckelmanns, insbesondere die in der Altmark einbezieht.
Aus unserer Sicht kann es einfach nicht sein, dass wir einzig und allein das Lutherjubiläum und vielleicht noch ein bisschen Bauhaus abfeiern und die Symbolfigur der Aufklärung so gut wie keine Beachtung findet. Im Übrigen ist in der Vergangenheit genau das auch schon einmal passiert. Im Jahr 2012 fand im Stendaler Winckelmann-Museum eine Ausstellung statt mit dem Titel „Die Artemis von Pompeji und die Entdeckung der Farbigkeit der griechischen Plastik“. Zu dieser Ausstellung wurde unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen eine Originalplastik der Artemis von Pompeji nach Stendal gebracht und dort ausgestellt.

Kaum einer im Land nahm hiervon Notiz, obwohl diese Plastik kulturhistorisch bedeutender und mit Sicherheit auch wertvoller war, als die gesamte Pompeji-Ausstellung, die Herr Meller gleichzeitig in Halle veranstaltete.

Bezeichnend in diesem Zusammenhang war auch, dass es bundesweit ein riesiges Presse-Echo hierauf gab, die FAZ hatte es sogar auf der Titelseite. Nur in Sachsen-Anhalt spielte es keine Rolle. 2017/2018 haben wir die Chance, es anders und auch besser zu machen. Lassen Sie uns die Chance nutzen, die die Winckelmann-Jubiläen mit sich bringen, auch um den Norden Sachsen-Anhalts als das deutsche Zentrum der Winckelmann-Forschung in der internationalen und überregionalen, aber auch in der regionalen Wahrnehmung zu etablieren. Nutzen wir die Möglichkeit, das Wirken Winckelmanns mit einem wichtigen Teil Sachsen-Anhalts zu verbinden.