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Henriette Quade zu TOP 21a): NSA-Affäre - Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt

Mit Blick auf die Ereignisse und vor allem Erkenntnisse der letzten Monate kommt man sich ja ein wenig vor wie in einem klischeebeladenem Hollywoodfilm. Die Geheimdienste tun das, wozu sie da sind, sie überwachen und derjenige, der das öffentlich macht, wird zum Verräter und Gejagten. In zwei Punkten gibt es aber ein erhebliche Differenz zu dem, was wir in der Realität erleben. Erstens, blieb die auf den Skandal folgende öffentliche Empörung bei relevanten Teilen der politisch Verantwortlichen, zuallererst bei der Bundesregierung, über lange Zeit aus. Und zweitens, davon bin ich überzeugt: Es wäre kein Drehbuchautor dieser Welt auf die Idee gekommen, diesen Skandal dadurch einzufangen, dass ein Kanzleramtsminister zur Aufklärung der Sache in die USA reist, dort Fragen nach dem Motto 'war da was?' stellt und nach der wenig überraschenden Antwort 'Nein und wenn geht es niemanden was an' ernsthaft zu dem öffentlichen Schluss kommt, die Affäre sei beendet.
Dieser Bundesregierung jedoch scheint nichts zu absurd zu sein und beides haben wir in den letzten Monaten erlebt.
Wie lässt sich das erklären?

Der gegenwärtige Skandal, in dem es um nicht weniger geht als die massenhafte anlasslose, verdachtsunabhängige und routinierte Erfassung und Überwachung von Kommunikationsdaten, ihren Inhalten, von Verbindungsdaten und ihre Speicherung, ist nicht denkbar ohne ein spezifisches Verständnis von Sicherheit und dem was dazu notwendig ist. Er ist eben nicht Resultat von praktizierter Gefahrenabwehr und irgendwie aus dem Ruder gelaufenen Tätigkeiten von Geheimdiensten.  Er ist vielmehr folgerichtig aus einem politischen Verständnis von Sicherheit, die nicht primär auf der Abwehr eine konkreten, nachweisbaren Gefahr basiert, sondern maßgeblich auf Kontrolle aller, um theoretisch mögliche, eventuelle Gefahren durch Einzelne erkennen zu können. Ein solcher Sicherheitsbegriff kommt nicht aus ohne einen dazu passenden Freiheitsbegriff und ein Verständnis von Grundrechten, in denen eine behauptete Sicherheit ein sogenanntes Supergrundrecht sein soll, hinter dem alle anderen Grundrechte notwendig zurückstehen müssen. Und so wenig die Überwachungsprogramme wie PRISM ein Alleingang der US-Geheimdienste sind, so ist das ihnen zu Grunde liegende Grundrechtsverständnis, eine Spezifik der USA. Im Gegenteil, es ist auch prägend für die in der Bundesrepublik betriebene Innen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Mit Verweis auf immer neue technische Möglichkeiten zur Kommunikation und des Datentransfers und immer unter dem Schlagwort 'Kampf gegen den Terrorismus' zusammengefasst, wurden in den vergangenen Jahren, verstärkt nach den schrecklichen Ereignissen vom 11. September 2001, auch in der Bundesrepublik immer neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden geschaffen, die dieser Logik folgten.  Ausweitung von Videoüberwachung, Rasterfahndung, Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung, Staatstrojaner, Quellen-TKÜ, den sogenannten Lauschangriff nicht zu vergessen, zuletzt die Bestandsdatenauskunft -All das ist nicht das Werk der NSA, all das ist Werk der Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte und insofern sahen die Unionsparteien und ihre Kanzlerin wahrscheinlich wirklich erstmal keinen Skandal in den Enthüllungen Edward Snowdens, außer natürlich, dass er sie enthüllt hat.

Dann erlebten wir die larmoyante Rede von 'Das macht man nicht unter Freunden'. Erst gestern las ich die DPA Meldung, auch der Ministerpräsident habe sich in dieser Weise geäußert. Weiter sagte er noch, "dem Bösen muss Einhalt geboten werden. Aber Gesetze müssen auch eingehalten werden." Na immerhin könnte man zu letzterem sagen, zumal aus heutiger Sicht noch gar nicht klar ist, was eigentlich wie und von wem konkret erfasst wurde und was auf Grund welchem geheimen Abkommens der Bundesregierung mit den USA gedeckt und im Übrigen damit auch der Bundesregierung bekannt war. Insofern wären aus unserer Sicht mehrere Schritte notwendig, und mit Blick darauf dass wir hier natürlich über bundespolitische Fragen reden und ja prominenteste Vertreter der Landesregierung an den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene teilnehmen, mit Blick darauf ist es auch richtig, hier an dieser Stelle zu dem Thema diskutieren. Zum Einen bräuchte es endlich einen ernsthaften Aufklärungsversuch der Bundesregierung. Denn eines muss man ganz deutlich sagen: Auch wenn relativ schnell nach den Enthüllungen Edward Snowdens klar war, dass, Grundgesetzwidriger Weise, niemand davon ausgehen kann, nicht überwacht zu werden, blieb diese Bundesregierung tatenlos und hat über Monate hinweg eine Position eingenommen, die im Prinzip den Angriff auf den Rechtsstaat und die Bürgerrechte durch die Überwachung geleugnet hat. Ganz der Logik folgend, 'dem Bösen müsse Einhält geboten werden', verteidigte allen voran Innenminister Friedrich die Geheimdienste vehement.  Erst als bekannt wurde, dass auch das Handy der Kanzlerin und die Kommunikation der Bundesregierung von der Überwachung betroffen sein könnten, gab es die Welle der Empörung, die bis zu diesem Zeitpunkt, solange es  nur um Millionen Bürgerinnen und Bürger ging, ausgeblieben ist. Plötzlich wurde Aufklärung gefordert, plötzlich war da ein Leidensdruck, plötzlich war das, woran BND und Verfassungsschutz eifrig mitgewirkt haben, nicht hinnehmbar. Das meine Damen und Herren, ist in unseren Augen der Skandal im Skandal. Aufgeklärt ist bislang dennoch nichts.

Zweitens wäre die politisch notwendige und überfällige Konsequenz aus dem Überwachungsskandal ein Paradigmenwechsel der deutschen und europäischen Innen- und Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz kennt kein "Supergrundrecht auf Sicherheit", welches alle anderen Rechte bricht, wie es niemand geringeres als der Bundesinnenminister behauptet. Ziel der Politik müsstest es sein, die umfassende Geltung von Menschen- und Bürgerrechten auch im Bereich der Telekommunikation herzustellen.
Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit der Aufklärung dann sollte sie endlich handeln und nicht erst auf den Untersuchungsausschuss warten, der sie dazu zwingt. Sie sollte die Kooperationen zwischen deutschen und US-Geheimdiensten offenlegen. Sie sollte, um sich vor zukünftigen Überraschungen zu schützen, das Gespräch mit Edward Snowden suchen und ihm den sicheren Aufenthalt in der Bundesrepublik ermöglichen. Notwendig wäre ein Moratorium und die wirklich unabhängige Evaluation aller seit 2001 verabschiedeten nationalen Sicherheitsgesetze und sonstiger Regelungen, die den Zugriff auf Bürgerdaten ermöglichen. Sie sollte sich für klare, völkerrechtlich verbindliche internationale Regelungen einsetzen, die jedem Menschen den grundsätzlichen Schutz seines Rechtes auf Privatheit garantieren.

Nachdem -das ist der dritte Punkt auf den ich eingehen möchte- bereits der NSU-Untersuchungsausschuss die Daseinsberechtigung des Verfassungsschutzes aufgrund seiner Verstrickungen mit der Naziterror-Szene völlig zu Recht in Frage gestellt hatte, wäre es angezeigt und  angemessen, das gesamte System der Überwachung auf den demokratischen parlamentarischen Prüfstand zu stellen, statt jedes Mal in Untersuchungsausschüssen rausfinden und rekonstruieren zu müssen, was die  Geheimdienste übrig lassen. Für meine Fraktion ist der NSA Skandal ein weiterer Beleg dafür,  dass Geheimdienste eben keinen Instrumente und Institutionen eines demokratischen Rechtsstaates sind und deshalb letztlich abgeschafft werden müssen. Die Nachvollziehbarkeit und Kontrolle ihres Agierens ist qua ihrer Konstruktion nicht gegeben und damit fehlt ihnen die demokratische Legitimation.

Und viertens  wäre es angesichts der Tatsache, dass derzeit die Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene laufen und damit, das sollte man zumindest annehmen, über politische Grundsatzentscheidungen diskutiert wird die richtige Konsequenz aus dem Überwachungsskandal, die Themen Datenschutz und Datensicherheit, das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf private Kommunikation, kurz, das Recht nicht überwacht zu werden, auf die politische Agenda zu setzen und somit nicht nur die Grundrechte des Einzelnen, sondern auch den demokratischen Rechtsstaat zu stärken. Nun könnte man denken dass -jenseits der sonst üblichen ideologischen Grabenkämpfe-, es zumindest einen politischen Konsens zur Notwendigkeit des Handelns geben würde und das Thema in den Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle spielte.
Mir Blick auf die Pressemeldungen der letzten Tage und die offenkundig von der Union eingebrachte Wunschliste wird mir allerdings Angst und Bange. Statt beispielsweise den Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung zur erklären,liest sich diese Liste eher wie eine Anleitung um einen neuen Datenskandal zu produzieren.

Denn neben massiv erweiterten Befugnissen des Verfassungsschutzes, einer Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, dem Wunsch nach präventiver Komplettauswertung des Datenverkehrs über die Auswertung großer Datenknotenpunkte, die nach Berichten des SPIEGELS, bereits praktiziert wird, soll nun scheinbar auch die Vorratsdatenspeicherung, die offenkundig schon durchgewunken wurde, auf die Bewegungsdaten ausgeweitet werden, indem die über die Mauterfassung gespeicherten Daten künftig auch für andere behördliche Zwecke genutzt werden können. Dies ist im Übrigen eine Befürchtung die seit Einführung der elektronischen Mauterfassung geäußert wurde und die nun ein Stück näher zu rücken scheint.  

Ich bin jetzt auf einige konkrete Dinge eingegangen, die aus Sicht meiner Fraktion als Konsequenz aus dem Überwachungsskandal zu entscheiden und zu tun wären. Natürlich rufen wir, obwohl wir sehr genau wissen,welchen Stellenwert Bürgerrechte für diese Landesregierung haben und obwohl die Landesregierung bisher immer verneint hat, dass dieser Skandal irgendetwas mit Sachsen-Anhalt zu tun hat, natürlich rufen wir sie dazu auf, diese politischen Konsequenzen zu ziehen. Ich will aber abschließend ganz deutlich sagen, dass es sich hier eben nicht nur um Entscheidungen zu unterschiedlichen Einzelthemen handelt. Hier geht es um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen und welche Rolle der Staat in dieser Gesellschaft spielt. Und es stehen zwei Konzepte gegeneinander: das des kontrollierenden Sicherheitsstaates mit einer nach seinen Maßstäben kontrollierten Gesellschaft und das einer freiheitlichen Gesellschaft in einem  demokratischen Rechtsstaat, oder andersherum, einen Staat der sich einen Gesellschaft schafft, oder eine Gesellschaft, die entscheidet, wie ihr Staat aussehen soll.  Ich meine, wenn es eine historische Verantwortung gibt, dann in dieser Frage.