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Henriette Quade zu TOP 19: Verantwortung gerecht werden - Unterbringung von Geflüchteten verbessern - Kapazitäten nutzen und erschließen

Wir debattieren den von uns vorgelegten Antrag in einer Zeit, in der die Entwicklungen des Zuzugs, der Unterbringung, der politischen Entscheidungen einer großen Dynamik unterliegen. In einer Zeit auch, in der der Satz von Angela Merkel „Wir schaffen das“ jeden Tag aufs Neue und zuallererst von ihrer eigenen Partei in Frage gestellt wird und eben auch das „Wir schaffen das nicht“ entgegengehalten wird.

Ich sage: Es geht in dieser Debatte weniger um die tatsächlich dringend notwendige Klärung der Voraussetzungen für gute Aufnahme von Geflüchteten, der Finanzierung gegenüber den Kommunen, der notwendigen staatlichen, fachlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen,  der  Verfügbarkeit und Erschließung von Unterkünften und der Sicherung von sozial gebundenem Wohnraum für alle im Übrigen. Es geht nicht primär um die Fragen, wie Arbeitsmarktinstrumente zu schärfen wären, wie man die Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass  Menschen die als Flüchtlinge zu uns kommen möglichst schnell Perspektiven hier finden können und selbstverständlicher Teil von Gesellschaft werden können. Es geht um eine ganz grundlegende Haltung, die hier in Frage gestellt wird.

Und man hat den Eindruck um diese Auseinandersetzung um die Haltung der Bundesrepublik zu gewinnen, da hat Sigmar Gabriel mal recht, wird jeden Tag einen neue Sau durchs Dorf getrieben. Mal nehmen angeblich die Flüchtlinge die gar keine richtigen Flüchtlinge seien sollen, weil sie ja nur vor Armut fliehen, den richtigen Flüchtlingen die Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen weg. Mal wird pauschal die Zielstellung ausgegeben, die Zahl der Abschiebungen zu verdoppeln.

Dass auch nach Einschätzung der Integrationsbeauftragten des Landes und gemäß den Zahlen ihres Hauses, Herr Minister, 90 % der Menschen die in den letzten Wochen und Monaten angekommen sind, eine gute bis sichere Bleibeperspektive haben, erwähnen Sie logischerweise nicht. Das macht nämlich deutlich - völlig unabhängig davon wie wir das Prinzip sichere Herkunftsstaaten finden und wie ich die gesetzlichen Vorgaben wer Recht auf Asyl hat und wer nicht beurteile - die schnellere Abschiebung von angeblich Nichtschutzberechtigten ändert nichts an der Situation der Erstaufnahme im Land, die schlichtweg unzureichend, zu spät und nicht bedarfsgerecht geplant wurde.

Nun hören wir ganz aktuell, dass es Gegenden in Syrien gäbe, aus denen man gar nicht fliehen müsse. Herr Minister - ich habe es glaube ich im letzten Jahr schon ein mal zu Ihnen gesagt - zeigen Sie uns doch bitte die Gegenden in Syrien, in denen sie sich gerade aufhalten wollen würden, sagen sie uns, wo sie ihre Familie guten Gewissens leben lassen würden.

Apropos Familie - die nächste Forderung - jetzt lässt der Bundesinnenminister den Koalitionspartner per Pressestatement wissen, dass auch der Familiennachzug für Geflüchtete aus Syrien eingeschränkt werden soll. Dann wird das zurückgenommen, von den CDU-Landesministern, auch dem hiesigen, aber sekundiert und ist offenkundig nun Ziel der CDU. Ungeachtet dessen, das damit Frauen und Kinder dem Tod überlassen werden. Ungeachtet dessen, dass erhebliche Hürden für Familiennachzug bereits bestehen. Ungeachtet dessen, dass Familiennachzug für Flüchtlingen gemäß Genfer Flüchtlingskonvention möglich sein muss.

Dann sollen syrische Flüchtlinge nur noch subsidiären Schutz erhalten. Ungeachtet dessen, dass für diese bezüglich des Familiennachzuges das gleiche wie für nach Genfer Konvention anerkannte Flüchtlinge gilt. Ungeachtet dessen, dass es gegen die EU-Asylverfahrensrichtlinie verstößt, Gruppen pauschal als leidglich subsidiär schutzberechtigt herabzustufen. Ungeachtet dessen, dass es für diese Herabstufung erforderlich wäre, dass das BAMF jeden Einzelfall auf Vorliegen der Voraussetzung gemäß Genfer Flüchtlingskonvention prüft und erst danach individuell über die Einstufung entschieden werden kann. Weil es ja gerade so ist, dass das BAMF mit seinen sonstigen Aufgaben nicht ausgelastet ist.

Und schließlich dann das Revival Obergrenzen für die Flüchtlingsaufnahme, die nun auch vom Innenminister gefordert wird. Ohne zu sagen, wie Sie diese Obergrenze gedenken durchzusetzen. Ohne zu sagen, was mit den anderen Menschen passieren soll. Mal ganz abgesehen davon dass es auch überaus spannend wäre zu erfahren, wie sie das für das Bundesland Sachsen-Anhalt innerhalb der Bundesrepublik eigentlich durchsetzen wollen:  Die einzige realistische Antwort auf die Frage wovon sich Menschen aufhalten lassen sollten, die dem Tod entfliehen konnten, die Krieg erlebt haben, die ihre Familien verloren haben, die verzweifelt sind und die sich auf einen gefährliche, strapaziöse und langwierige Flucht begeben haben, ist mit massiver staatlicher Gewalt zur Sicherung der Grenzen. Angela Merkel weiß das und auch Sie wissen das - wenn es das ist, was sie wollen, dann sagen Sie das.

Ja, der Streit um Haltung ist das Wesen von Politik. Und ja, der intensive Streit um Haltung den wir gegenwärtig erleben entspricht eben auch Konfliktlinien die in der Gesellschaft deutlich kontroverser, unversöhnlicher und zugespitzter geführt werden als wir es hier tun. Was ich aber wirklich problematisch finde, ist wenn, um die Hoheit im Streit über Haltung zu gewinnen, die Realitäten die man beeinflussen kann, so angepasst werden, dass sie die Haltung bestätigen. Meine Fraktion ist in der Frage der Haltung klar entschieden. Aber Aufgabe von Politik ist es auch die gerade konkret anstehenden Aufgaben zu erfüllen bzw. die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Mit unserem Antrag konzentrieren wir uns auf die Situation im Land, das was landespolitisch möglich und aus unserer Sicht nötig ist.

Am drängendsten für uns ist die Situation der Zeltunterbringung. Dass Menschen immer noch in Zelten leben müssen ist schlichtweg nicht hinnehmbar. Wann sie überwunden sein werden weiß scheinbar niemand. Im Sommer hieß es, zu Beginn der kalten Jahreszeit wären die Zelte unnötig, dann Mitte, dann Ende Oktober, dann Anfang November, dann vielleicht Ende November. Das gleiche gilt für alle Baumaßnahmen. Dass meine Fraktion bereits vor 2 Jahren über die Ausbaumaßnahmen in der ZAST gesprochen hat, dass wir bereits vor geraumer Zeit die Errichtung einer weiteren ZAST beantragt haben - geschenkt. Gleichzeitig hören wir vom Finanzministerium und dem Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt (BLSA), dass es Kapazitäten gäbe, die aber von MI abgelehnt wurden. Wir sehen, dass es eine Liste mit zur Verfügung stehenden Kapazitäten gibt, die sich z.T. nicht in den Belegungsinformationen wiederfinden. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass auch im Bereich der Erschließung von Kapazitäten Bewegung ist. Keine Frage. Aber es scheint sie nur in eine Richtung zu geben, nämlich dahin, dass die an der einen Stelle stolz verkündeten erschlossenen Kapazitäten, irgendwann plötzlich nicht mehr vorkommen.

Nicht minder drängend sind die Fragen der Kommunikation und der Logistik. Dass sich eine geplante Verteilung in die Kreise verschieben kann - klar. Dass man nicht immer genau sagen kann, wie viele Familien und wie viele Alleinreisende kommen, welche Sprachbedarfe, wie viele Schulplätze, welche besonderen Schutzbedürfnisse im Einzelnen vorhanden sind - auch nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass es nach übereinstimmender Darstellung der Kreise die Regel ist, dass nicht klar ist, wann wie viele Menschen kommen, welche Spezifika es gibt und es somit kaum möglich ist, dass sich die Kreise gut vorbereiten können. Was noch weniger nachvollziehbar ist, ist dass die Ankunft der Asylsuchenden in den Kreisen nicht selten in den Nachtstunden liegt. Das ist eine Härte für die Asylsuchenden, das ist eine Zumutung für die Kreise und ihre Mitarbeiterinnen und es ist in Zukunft unbedingt zu vermeiden. Der Eindruck, der uns aus den  Kreisen gespiegelt wird, ist, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, insbesondere in Halberstadt unglaubliches Chaos herrscht, es dem Stab und dem Ministerium relativ egal ist, was in den Kreisen los ist und dass es einzig darum geht, die Verantwortung auf die Kreise abzuwälzen. Das trifft nicht weniger die beteiligten Hilfsorganisationen, diejenigen, die sich um gute Aufnahmebedingungen bemühen und die vielen Ehrenamtlichen. Das ist ein nicht akzeptabler Zustand und vor dem Hintergrund dessen was ich eingangs zur Frage der Haltung und der Tendenz zur Anpassung der Realitäten an die Haltung sagte frage ich mich schon, ob es nur am Unvermögen liegt oder ob es eben nicht doch darum geht, die Überlastungsanzeigen aus den Kommunen regelrecht zu provozieren.

Und ja - die Möglichkeiten der Unterbringung in den Kreisen sind unterschiedlich. Es gibt Kreise, die Zeit zur Herrichtung von Unterkünften brauchen. Es gibt Kreise, die kommen innerhalb ihrer kommunalen Gliederungen nicht weiter mit der Unterbringung. Die Landräte haben den Auftrag zur Unterbringung, aber keinen Zugriff auf die kommunalen Wohnungsbauunternehmen, aus den Kommunen wird ihnen zuweilen mitgeteilt „wir haben keinen Wohnraum“, was weder mit Blick auf die Abwanderungsbewegungen noch mit Blick auf den Leerstand wirklich sein kann. Mir scheint es ist schon auch noch mal notwendig zwischen verfügbarem und nicht verfügbarem, aber eben auch politisch nicht verfügbarem Wohnraum zu unterscheiden.

Wenn die Analyse nun ist, dass die Wohnraumsituation in den Landkreisen und kreisfreien Städten unterschiedlich ist, dann ist es angesichts der massiv fehlenden Erstaufnahmeplätze in Landesverantwortung der richtige Weg von der starren Verteilquote auf die Kreise zumindest vorübergehend abzuweichen. Wenn es so ist, dass Leerstand der ausgewiesen ist nicht real verfügbar ist, weil Gebäude z.B. bereits entkernt und nicht beziehbar sind, wenn es so ist, dass teilweise nur Zeit notwendig ist, an anderer Stelle aber gemauert wird, dann ist es richtig, eine Fachgruppe mit VertreterInnen des Finanzministeriums, des Landesverwaltungsamtes, des Ministeriums für Inneres und Sport sowie der Integrationsbeauftragen damit zu beauftragen, eine realistische und aktuelle Einschätzung zu den tatsächlich verfügbaren Unterbringungsmöglichkeiten in den Kreisen zu treffen. Darauf könnte in enger Abstimmung mit den Kreisen eine vernünftige Verteilung aufbauen, das würde auch helfen, Überforderungssituationen zu vermeiden und abzubauen.

Im letzten Punkt unseres Antrages schließlich fordern wir die Einsetzung eines zeitweiligen Ausschusses zur Aufnahme und Unterbringung  Asylsuchender und Geflüchteter. Wir haben den Arbeitsauftrag beschrieben und begründet, deshalb will ich an dieser Stelle nur eines sagen, weil ich ja schon höre, dass Sie sich hinstellen und sagen: „Wer wird denn so kurz vor der Wahl noch einen Ausschuss einführen wollen?“ Dass wir einen solchen Ausschuss vorschlagen verstehen wir als Zeichen, dass wir das Parlament ernst nehmen und auch Vertrauen haben, dass die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen das auch tun. Und aus eben diesem Ernstnehmen ergibt sich für uns die Schlussfolgerung, dass sich die Arbeitsweise des Parlamentes seinen Aufgaben  anpassen muss. Wir sagen ausdrücklich, dass es sich nicht um einen beschließenden und dauerhaften Ausschuss handeln soll.  Uns geht es um eine stärkere Anbindung des Parlamentes, um besseren Informationsfluss und um den notwendigen Raum dafür, der frei von den Zwängen der bereits befassten Ausschüssen, dem Druck der Listen unerledigter Beratungsgegenstände, der aktuellen Tagesordnungen, nach unserer Überzeugung weitaus besser zu schaffen wäre.
Uns geht es hier ausdrücklich nicht um das Signal der Krise, die einen Sonderausschuss notwendig mache - uns geht es hier ausschließlich um die Anpassung der Arbeitsweise des Parlamentes an die Dynamik der Entwicklungen.

Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen beziehen sich aufeinander und greifen ineinander. Da wir aber mit unserem Antrag ausdrücklich auf die konkreten Handlungsmöglichkeiten im Land abzielen und ich mir vorstellen kann, dass es in einigen Fraktionen Zustimmung zu einigen Punkten, zu anderen Punkten aber nicht geben könnte, beantragen wir vorsorglich die Einzelabstimmung der  6 beantragten Punkte unseres Antrages.