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Henriette Quade zu TOP 15: Zivilgesellschaftlichen Protest gegen Neonazikonzerte unterstützen - Kommunen nicht allein lassen

Im Mai dieses Jahres fand in Nienhagen im Harz erneut ein europaweit beworbenes und international besuchtes Skinheadkonzert statt. Organisiert und beworben wurde dieses Musikevent für Nazis wie auch in den vergangenen Jahren vom ortsansässigen Oliver Malina, der wohl als Kopf von „Honour & Pride“ gelten kann, also jener Struktur der Neonaziszene,  die seit dem Verbot von „Blood & Honour“ in Deutschland maßgeblich mit der Organisation und Durchführung solcher Veranstaltungen betraut ist und als Nachfolgestruktur gesehen werden muss.
 
Vorausgegangen war ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Ordnungsbehörden und den Veranstaltern, wobei - so stellte sich leider heraus - keineswegs die Ordnungsbehörden in der Rolle der Katze waren. Im Gegenteil gelang es Malina, die Behörden - offenkundig auch und gerade das Innenministerium - an der Nase herumzuführen, indem in mehreren Orten in Sachsen-Anhalt - darunter auch in dem für das Innenministerium wiederum überraschend erworbene Schloss Groß Germersleben - Konzerte angemeldet wurden und es lange Zeit unklar war, wo und unter welchen Bedingungen das Konzert tatsächlich stattfinden würde.
 
In Nienhagen hatte sich nach mehreren großen und kleinen Nazikonzerten in der Vergangenheit im letzten Jahr eine Bürgerinitiative gegründet, die eine Bürgerbefragung initiierte, deren Ergebnis die Aussage war, dass die große Mehrheit der Menschen in Nienhagen nicht möchte, dass diese Konzerte weiter dort stattfinden. Der Vermieter des Konzertobjekts, der „Alten Hopfendarre“, lenkte ein und versprach, künftig nicht mehr an Malina zu vermieten. Dies war damals ein großer Erfolg, der nur auf das Engagement der Menschen in Nienhagen zurückzuführen ist. Es ist mir sehr wichtig, diesen Menschen an dieser Stelle ausdrücklichen Dank auszusprechen. Denn es erfordert ungeheuren Mut und Kraft, in einem 380-Seelen-Ort gegen Neonazis zu protestieren, von denen ich nicht ahnen oder wissen kann, wie gewaltbereit sie sind, von denen ich aber weiß, dass sie teilweise meine Nachbarn sind.
 
Der Vermieter der „Hopfendarre“ ist offenkundig wortbrüchig geworden und hat nun erneut an Malina vermietet. Einige Tage vor dem lange angekündigten Termin, dem 25. Mai, wurde öffentlich, dass das Konzert wieder in Nienhagen stattfinden sollte.

Bereits in Groß Germersleben und im Landkreis Wittenberg versuchten die Versammlungs- und Ordnungsbehörden mit bau- und wegerechtlichen Einwänden und der Prüfung möglicher Auflagen bzw. Verbotsverfügungen die Durchführung des Konzerts einzuschränken oder gar zu verhindern. Letztlich ging jedoch der entscheidende Impuls von Malina aus, der erforderliche Unterlagen nicht oder zu spät einreichte bzw. auf Auflagenverfügungen keine Reaktion zeigte.
 
In Groß Germersleben gründete sich ebenfalls eine Bürgerinitiative, die deutlich machte, dass in ihrem Ort Konzerte von Nazis nicht ohne Widerspruch stattfinden können. Es ist gut, dass sich die Menschen dort klar artikuliert haben.

Nachdem klar war, dass das Konzert in Nienhagen stattfinden soll, prüften die Behörden dort ebenfalls mögliche Auflagen und Verbotsverfügungen - wie auch in den anderen Fällen, so ist es zumindest der Presseberichterstattung zu entnehmen, im Übrigen wurde jegliche Berichterstattung im Innausschuss zum aktuellen Stand - der Innenausschuss tagte zwei Tage vor dem Konzert - vom Staatssekretär abgelehnt -, die jedoch ausschließlich auf mögliche baurechtliche Unzulänglichkeiten und ordnungsrechtliche Belange abstellten, um daraus mögliche Verbotsgründe abzuleiten.

Dies schien zunächst zumindest aus der Sicht des Innenministers erfolgreich gelungen zu sein, der nach einem Verbot erklärte: „Ich bin begeistert davon, dass es durch konzertierte und stringente Prüfungen der Verwaltungsbehörden gelungen ist, ein Rechtsrockkonzert in Sachsen-Anhalt zu untersagen. Ruhiger Professionalität ist es zu verdanken,  dass das juristische Können hier politisches und gesellschaftliches Wollen ermöglicht.“ Weiter erklärte er, dass dies ein deutliches Signal an die Veranstalter solcher Konzerte sei.
 
Wir alle wissen, dass es anders kam und die Verbotsverfügungen weder vor dem Verwaltungs- noch vor dem Oberverwaltungsgericht standhielten und dass dieses Konzert stattfand.  
 
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir in keiner Weise um Häme angesichts der selbstgewissen Worte des Innenministers. Dafür ist der Anlass viel zu ernst und viel zu problematisch. Worum es meiner Fraktion geht, ist das darin angesprochene deutliche Signal. Ein deutliches und das notwendige Signal an die Veranstalter - im Übrigen auch an die nicht weniger problematischen Besucherinnen und Besucher des Konzerts - wäre es gewesen, von Anfang an die politische Dimension solcher Veranstaltungen in den Blick zu nehmen und sie als das zu benennen, was sie sind: das musikalische Begleitprogramm zur politischen Aufstellung und zu Hass und Gewalt der Neonazis.

Um auch dies deutlich zu sagen: Unser Ziel ist es ausdrücklich nicht, Neonazikonzerte per se aus politischen Gründen verbieten zu können. Unser Ziel ist es, ihnen politisch und nicht hauptsächlich ordnungsrechtlich zu begegnen und eine Strategie des Landes zu entwickeln, die eben nicht nur aus einem solchen Erlass - der notwendig ist; es ist gut, dass es ihn gibt - bestehen kann. Es geht uns ebenso wenig darum zu behaupten, es gäbe ein Patentrezept, mit dem sich alle kommenden möglichen Konzerte in Sachsen-Anhalt in der Zukunft verhindern ließen.  
 
Die inhaltliche Auseinandersetzung und Problematisierung durch die politisch Verantwortlichen wäre aber notwendig, um deutlich zu machen, worin eigentlich das Problem mit solchen Konzerten besteht. Das Problem ist nämlich nicht primär, dass dort viele Leute auf einem Gelände unterwegs sind, das nicht für so viele Leute ausgelegt ist, und dass die da Krach, Müll und Dreck verursachen. Das Problem ist, dass diese Leute auf den Konzerten eine Ideologie des Hasses auf Menschen und letztlich auf sämtliche demokratischen Werte und Prinzipien feiern und dass dabei indirekt und oft auch direkt zu Gewalt gegen all jene aufgerufen wird, die als politische Feinde oder als rechtlos begriffen werden.
 
Neonazistische Musik und Konzertveranstaltungen haben identitätsstiftende und identitätsfestigende Funktionen, und sie gelten den Nazis nach Einschätzung der Expertinnen und Experten als virtuelle Propagandawaffe, wie es Michael Wörner-Schappert formulierte. Genau darauf gilt es politisch zu reagieren.
 
Gerade im Zeichnen von Feindbildern und im Aufstacheln gegen bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Jüdinnen und Juden, Ausländerinnen und Ausländer, Muslime, Homosexuelle und Linke - im Übrigen explizit auch gegen die Vertreter des Staates, insbesondere die Polizei - liegt die große Gefahr solcher Konzerte.  
 
Ich weiß, dass einige Kolleginnen und Kollegen an jenem Samstag in Nienhagen waren und die anreisenden Nazis, die in kleineren und größeren Gruppen durch den Ort zogen und ihn regelrecht belagerten, beobachten konnten. Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen, die da waren, konnten sehr deutlich erfassen, welche Gefahr davon ausgeht und konnten zumindest erahnen, wie es sich für diejenigen anfühlt, die dort ihr Zuhause haben und gegen die Nazis protestiert haben. Deswegen will ich auch an dieser Stelle einen ausdrücklichen Dank an die etwa 250 Menschen aussprechen, die sich am 25. Mai in Nienhagen nach nur sehr kurzer Zeit der Vorbereitung sehr deutlich artikuliert haben.

Die politische Dimension von Nazikonzerten zu fokussieren wäre in unseren Augen der notwendige Ansatzpunkt für die Formulierung möglicher erfolgreicher Verbotsverfügungen. Das wiederum würde es erfordern, sehr genau zu erfassen, was bei einem solchen Konzert eigentlich passiert.
 
Genau hier sind wir im Verantwortungsbereich des Innenministeriums. Laut Medienberichterstattung waren am 25. Mai fünf Hundertschaften im Einsatz. Bei einer angemeldeten Teilnehmerzahl von 1 250 und der Ankündigung, dass die Karten für das Konzert ausverkauft seien, wirft dieses Zahlenverhältnis zumindest Fragen auf, die Frage nämlich, ob die Polizei in der Lage gewesen wäre, Straftaten, die bei solchen Veranstaltungen regelmäßig passieren - die sich im Übrigen auch in Nienhagen ereignet haben -, zu ahnden.
 
Die Frage, wie eigentlich die Kontrolle der Auflagen erfolgte, ist noch einmal eine gesonderte, weil sie nicht rein quantitativ zu beantworten ist. Denn natürlich geht es beispielsweise bei englischsprachigen Bands auch darum, indizierte, verbotene oder anderweitig strafbewehrte Texte oder Äußerungen als solche zu erkennen und so einzuschätzen.  
 
Angesichts der dort dargebotenen Musik ist das nicht einfach. Es ist auch keine Frage, dass die Einsatzkräfte nicht zu beneiden sind. Zweifellos muss das aber stattfinden, denn das wäre die Grundlage für einen möglichen Abbruch der Veranstaltung.
 
Damit sind wir wieder bei der quantitativen Frage, der Frage nämlich, ob das am 25. Mai möglich gewesen wäre. Ich sage Ihnen, nachdem ich den Tag dort verbracht habe: Ich habe diesbezüglich Zweifel. Tatsächlich habe  ich in der Zeit, die ich gemeinsam mit Journalistinnen und Journalisten in der Nähe des Eingangs zum Konzertgelände verbracht habe, zwei tätliche Angriffe auf Journalisten beobachtet, und die anwesenden Polizistinnen und Polizisten mussten erst einmal zum Feststellen der Personalien aufgefordert werden. In einem Fall ließen die Polizistinnen und Polizisten den betreffenden Nazi auf das Konzertgelände verschwinden. Und auf die Frage, wie sie nun die Personalien feststellen wollten, entgegneten sie uns, wir könnten ja fragen, ob er rauskomme. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Mein Hauptvorwurf gilt nicht den fünf oder sechs Beamten vor Ort, sondern der Einsatzplanung und -konzeption und der Grundeinschätzung solcher Veranstaltungen.
 
Die Konsequenz aus einer in zu geringer Stärke anwesenden Polizei oder aus fehlenden qualitativen Kompetenzen wäre es, dass Nazikonzerte ab einer gewissen Größenordnung zu quasi rechtsfreien Räumen würden.
 
Ich weiß, der Minister und auch Herr Kolze sind der Meinung, wer über Polizeieinsätze und Polizeitaktik reden möchte, der möge Polizeiführer werden. Es ist aber mitnichten eine Frage, die ausschließlich die Polizei angeht. Nazikonzerte als rechtsfreie Räume wären ein rechtsstaatliches Unding. Es wäre aber vor allen Dingen ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen, die Opfer neonazistischer Gewalt geworden sind, und es wäre ein sehr deutliches Zeichen an die Veranstalter, das wir alle nicht wollen können.

Ein weiterer notwendiger Schritt wäre es, sich auf den Veranstalter Oliver Malina und auf dessen Auftreten als Veranstalter in der Vergangenheit zu fokussieren. International und bundesweit, aber gerade auch hier im Lande gibt es Erfahrungen mit ihm. Eine Erfahrung ist neben der Tatsache, dass er offenkundig juristisch besser beraten wurde als die Kommunen, die Verbote verfügt haben, dass Auflagen bei Konzerten von Malina verletzt wurden.  
 
Fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor fand in Nienhagen beispielsweise ein Konzert mit 1 800 Teilnehmern statt, das für 1 200 Teilnehmer angemeldet worden war. Das ist eine sehr deutliche Verletzung der Auflagen. Das ist ein sehr deutlicher Bruch im Sicherheitskonzept. Das wäre ein Ansatzpunkt, die Zuverlässigkeit des Veranstalters Oliver Malina infrage zu stellen und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Erfahrungen gibt es auch in anderen Bundesländern. Es lohnt sich aus unserer Sicht, einen Austausch zu suchen und Anregungen für künftige rechtssichere Strategien im Umgang mit solchen Veranstaltungen und für die damit gegebenenfalls verbundenen Auflagenverfügungen sowie für die Auflagenkontrolle zu gewinnen.  
 
Besonderes Augenmerk sollte unseres Erachtens darauf liegen, die zivilgesellschaftlichen Erfahrungen der Bürgerinnenbündnisse und die Handlungsempfehlungen der Fachstellen und Träger der Bildungs- und Präventionsarbeit sowie der Beratungsstrukturen gegen Neonazis, wie sie beispielsweise im Landesnetzwerk für Demokratie und Toleranz zusammenkommen, in diese Strategieentwicklung einzubeziehen.
 
Ich will abschließend auf eine weitere Erfahrung zu sprechen kommen, die letztlich den entscheidenden Impuls für unseren Antrag gab. In der Woche vor dem Konzert fand im Rahmen des Netzwerks für Demokratie und Toleranz eines der Fachgespräche der lokalen Bündnisse gegen Rechtsextremismus unter anderem mit dem Landtagspräsidenten statt. Dort waren auch Vertreterinnen und Vertreter der Bündnisse aus Nienhagen und Groß Germersleben anwesend. Sie artikulierten einen mich sehr erschreckenden Eindruck. Sie sagten sehr deutlich, sie fühlten sich vom Land und von der Politik schlecht beraten und im Grunde mit ihren Problemen alleingelassen.  
 
Das ist eine bittere Erfahrung. Es ist eine Erfahrung, auf die wir und die Landesregierung reagieren müssen. Unser Antrag zielt genau darauf ab. Ich werbe um Ihre Zustimmung und beantrage die Direktabstimmung.