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Henriette Quade zu TOP 14: Verfolgte Minderheiten im Irak und Syrien schützen

Kobane ist in den letzten Wochen zum Schlagwort und Sinnbild geworden. Zum Schlagwort und Sinnbilder der von den Terrormilizen des "Islamischen Staates" ausgehenden Bedrohung und Verfolgung für Angehörige von Minderheiten und allen, die sich nicht den Regeln eines sogenannten Gottesstaates unterwerfen wollen. Die Stadt an der syrisch-türkischen Grenze ist Hauptstadt des gleichnamigen Bezirkes. Ein großer Teil ihrer Einwohnerinnen und Einwohner sind Kurden, seit dem Vormarsch des IS in Syrien und im Irak, ist Kobane zum letzten Zufluchtsort vieler Verfolgter geworden. Die Parole " Kobane darf nicht fallen" ist daher nicht nur die  Forderung von Kurdinnen und Kurden weltweit  (auch in Deutschland.)

Die Verteidigung Kobanes scheint für viele Menschen auch zum wirkungsstarken Symbol geworden zu sein für den Kampf gegen den IS und die Verteidigung säkularer und demokratischer Werte gegenüber einem System, dass mit größter Brutalität gegen vermeintliche und tatsächliche Gegner vorgeht. Etliche auch sehr unterschiedlicher Aufrufe nach internationaler Hilfe zeigen dies überdeutlich.
Die Terrororganisation IS hat seit Beginn des Jahres unzählige Menschen getötet, gefoltert und gequält.

Der IS ist dabei keineswegs eine neue oder aus dem Nichts entstandene Organisation. Im Gegenteil. Sie hat mehrere Vorläufer, ihr Entstehen wurde durch die seit Jahren andauernde Erschütterung der gesamten Region durch Kriege und kriegsähnliche Zustände massiv begünstigt und teilweise auch erst möglich. Im syrischen Bürgerkrieg erlangte der IS als ISIS (Islamischer Staat Irak und Syrien) im Jahr 2013 internationale Berühmtheit, und kämpfte zunächst dort an der Seite der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen das Assad-Regime. Später wendete sie sich gegen die FSA und bekämpfte sie.

Ende Juni schließlich rief die supranationale Terrormiliz nun unter dem Namen "Islamischer Staat" in weiten Teilen Syriens und des Iraks ein Kalifat aus und kämpft mit großer Brutalität gegen die von ihnen ausgemachten Ungläubigen.

Opfer dieser Gewaltexzesse werden alle, die als Abweichler von der 'wahren Lehre des Islam' begriffen werden: Im Irak trifft dies die Mehrheit der Bevölkerung, die schiitischen Muslime, die auch in Syrien etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Religiöse Minderheiten wie Ezidinnen und Eziden, Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen und Mandäerinnen und Mandäer werden zum Konvertieren gezwungen oder getötet und hingerichtet. Die IS ist dabei ihren selbsternannten Gottesstaat auszuweiten und ist in den letzten Wochen in das Hauptsiedlungsgebiet der religiösen Minderheit der Eziden rund um die Provinzhauptstadt Shingal sowie in die autonomen kurdischen Gebiete eingedrungen. Dabei wurden grauenhafte Verbrechen begangen, Menschen getötet, Mädchen und Frauen vergewaltigt und zu Hunderten verschleppt. Laut dem UNO-Sonderbeauftragten für den Irak, Nikolaj Mladenov, entwickelt sich eine humanitäre Katastrophe. Meldungen zufolge sind 200.000 Menschen im kurdischen Teil Iraks auf der Flucht, dabei sind schon viele aufgrund von Versorgungsmangel gestorben. Die Zahl der Menschen, die Die Region Kobane verlassen müssen und in die Türkei oder auch in die kurdischen Gebiete des Iraks fliehen wächst stetig.

Die meistenteils kurdisch bewohnten und auch politisch von der türkisch-kurdischen Demokratischen Regionenpartei verwalteten und regierten türkischen Grenzstädte und -Dörfer leisten große Hilfe. Sie organisieren Flüchtlingscamps, sie beschaffen Lebensmittel, sie versuchen medizinische Versorgung zu gewährleisten und Verwundete aus den umkämpfen Gebieten zu holen, sie versuchen Familien zusammenbleiben zu lassen und verwaiste Kinder in Obhut zu nehmen. Diese Hilfe wird vor Ort organisiert und finanziert, nicht von der türkischen Regierung und, auch darüber mehren sich die Berichte, auch nicht von den türkischen Sicherheitskräften unterstützt. Im Gegenteil ist gerade der Transport der Verwundeten eines der größten Probleme, weil der Grenzstreifen zwischen Syrien und der Türkei immer weiter abgeriegelt wird und teilweise mit Mienen gesicherte Gelände überwunden werden müssen.

Es fehlt an vielem: vor allem Zelte, Toilettencontainer, Medikamente, Wasser und Babynahrung werden dringend benötigt. Angesichts der sich abzeichnenden langen Dauer der Kämpfe wächst die Angst vor dem kommenden Winter. Ca. 9 Millionen Menschen mussten in den letzten Jahren aus Syrien fliehen, etwa 5,2 Millionen Menschen im Irak sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die Hauptlast der aus der Verfolgung durch den IS entstehenden Flüchtlingsbewegungen und der steigenden Flüchtlingszahlen tragen die unmittelbaren Nachbarländer und Regionen. Von 5 Menschen, die im Libanon beispielsweise leben, ist einer ein Flüchtling.
Und so geneigt das Thema IS und die Situation im Nahen Osten scheint, auch hier im Landtag Weltpolitik zu diskutieren und die jetzt notwendigen Schritte gegen den IS zu erörtern, will ich klar sagen, dass dies mit dem hier vorliegenden Antrag ausdrücklich nicht unser Ziel ist.

Uns geht es darum, hier, die Frage zu stellen: Was tut der Westen? Was tut Europa und was können wir aus Sachsen-Anhalt heraus als Teil der Bundesrepublik und als Teil Europas tun und was müssen wir tun, um Elend und Leid zu mildern?

Dafür gibt es aus unserer Sicht zwei wesentliche Handlungsansätze: Nämlich Hilfe vor Ort und Hilfe durch Aufnahme von Flüchtlingen in Europa und in Deutschland und beide gehören zusammen, weil angesichts der weltweiten Verteilung von Flüchtlingen und der Wirtschaftskraft, das eine auch das andere erfordert. Wer ernsthaft einen relevanten Beitrag dazu leisten will, die Versorgung der Flüchtlinge innerhalb Syriens, im Irak in den kurdischen Gebieten, in den türkischen Grenzregionen, im Libanon und in den anderen Ländern der Region zu verbessern, der muss auch anerkennen, dass es dazu zwingend notwendig ist, Einreisewege, ja Fluchtwege nach Europa zu schaffen.

Diese Anerkenntnis ist ja grundsätzlich offenbar durchaus parteiübergreifend da, es gab und gibt ja Aufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge. Die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister einigten sich im Juni dieses Jahres auf die Aufnahme weiterer 10000 Flüchtlingen aus der syrischen Krisenregion durch die Bundesrepublik. Insgesamt wurde damit 20000 syrischen Staatsbürgern ermöglicht.  Das ist gut, das ist notwendig, aber das reicht nicht.

Und bei allen Problemen, die wir derzeit in Fragen der Unterbringung, in der ZAST, in den Kommunen, haben mögen, sagen wir auch: Deutschland ist nicht nur in der humanitären Pflicht, hier deutlich mehr zu tun, und für einen solchen Ansatz auch in Europa zu werben, es ist auch möglich, wenn man die politische Priorität setzt.

Politische Priorität ist im Übrigen auch das Stichwort, sich die Haushaltsberatungen auf Bundesebene anzuschauen: Während zwar mit 75 Millionen zusätzlichen Mitteln eine überplanmäßige Ausgabe bei der humanitären Hilfe im laufenden Jahr bekannt gegeben wurde, wird gleichzeitig ein Haushalt diskutiert, der für 2015 ernsthaft eine Absenkung der Mittel im Bereich der humanitären Hilfe um über 30 Prozent vorschlägt. Angesichts dessen, was wir jeden Tag aus den Krisenregionen dieser Welt , insbesondere aber eben aus Syrien, dem Irak und ihren Anrainerstaaten erfahren, ist das einfach unverständlich und zeigt, wie notwendig die politische Debatte auch in den Ländern ist.

Wenn wir uns die jetzt laufende humanitäre Hilfe anschauen, zeigt sich auch: Die öffentliche und allgemeine Infrastruktur in den Ländern, die Flüchtlinge aufgenommen haben, ist in keinem guten, oftmals in einem richtig schlechten Zustand.
Die Krise betreffe nicht nur Syrien, sondern auch die Nachbarländer, betonte der Leiter der Delegation der Kommission in Syrien und dem Irak Eduardo Fernandez-Zincke in der jüngsten Debatte des Europäischen Parlamentes. Lediglich 15 Prozent der 3 Millionen registrierten Flüchtlinge lebe in Flüchtlingscamps. Der Großteil lebe in Städten. Mehr als die Hälfte der humanitären Hilfe von der Europäischen Kommission sei bereits an die Nachbarländer Syriens verteilt worden, um die Flüchtlinge in diesen Ländern zu unterstützen. Auch Sema Genel, Büroleiterin der Diakonie Katastrophenhilfe Istanbul, betonte, dass die EU lokale öffentliche Infrastruktur, soziale Dienstleistungen und Initiativen der Zivilgesellschaft unterstützen müsse.

Wir greifen mit unserem Antrag diese beiden Handlungsansätze auf, humanitäre Hilfe vor Ort und Hilfe und Aufnahme, und wir tun dies, wenn wir uns den Antrag genau anschauen, durchaus zurückhaltend. Der Änderungsantrag der Kollegen von den Grünen deutet ja an, dass man an dieser Stelle durchaus weiter gehen kann und -wie ich finde- mit großer Berechtigung weit mehr fordern kann. Und auch mir und meiner Fraktion fiele deutlich mehr an eigenen Vorstellungen ein, die wir richtig finden, die wir auch nach wie vor verfolgen- die Überwindung der Dublinverordnung, die Öffnung der Grenzen, auch für jene, die nicht in die Kategorien bisheriger Aufnahmeprogramme passen, die Absenkung der zahlreichen Hürden innerhalb der Aufnahmeprogramme, stärker Druck auf die türkische Regierung um Hilfe vor Ort leisten, um nur einige zu nennen, die wir sicher recht kontrovers hier diskutieren würden.

Wir haben mit dem vorliegenden Antrag bewusst darauf verzichtet und uns an einem Antrag unserer Kolleginnen und Kollegen in der Bremischen Bürgerschaft orientiert, der dort sowohl von LINKEN, Grünen und SPD, als auch der CDU beschlossen wurde.
Wir glauben durchaus Punkte formuliert zu haben, die die gemeinsamen Nenner aller Fraktionen auch hier im Hause aufgreifen und deshalb bewusst auf Vorstellungen, die darüber hinausgehen verzichtet. Lassen Sie uns also angesichts der täglich schlimmer werdenden Notsituation und der sich abzeichnenden humanitären Katastrophe, hier im Hohen Hause einmal übereinkommen und damit einen realen Beitrag zur Verbesserung der Lage leisten und ein dringend notwendiges politisches Zeichen setzen.