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Eva von Angern zu TOP 18: Für einen zukunftsfähigen Strafvollzug in Sachsen-Anhalt auf der Grundlage eines modernen Strafvollzugsgesetzes mit dem Ziel der Resozialisierung von Straftätern

Wir schreiben das Jahr 2011 und die Zeit, in der Menschen, die Straftaten begangen haben, bei Brot und Wasser hinter Gittern büßen müssen, gehört zum Glück in unserem Land der Vergangenheit an. Das ist gut und auch richtig so. Doch erlauben Sie mir einen kurzen Blick hinein in den Alltag unseres Strafvollzugs: Realität ist, dass selbst Gefangene, die Langzeitstrafen abzuleisten haben, keine oder nur eine geringe Möglichkeit haben, einen Schulabschluss bzw. einen Berufsabschluss nachzuholen.
Realität ist, dass nur wenig Raum für Tataufarbeitung und Wiedergutmachung und entsprechende Maßnahmen existiert. Das Personal fehlt hierfür. Realität ist, dass der offene Vollzug in Sachsen-Anhalt nicht ausgelastet ist. Denn auch hier fehlt dafür das Personal. Realität ist, dass nicht allen Gefangenen die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit gegeben werden kann. Diese traurige Bilanz könnte ich fortsetzen.

Menschen werden im Strafvollzug zusätzlich asozialisiert. Sie verlernen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ein strafrechtlich relevanter Rückfall ist in der Folge nicht selten. Das sind keine Einzelfälle, keine einzelnen Probleme.

Das fehlende Behandlungskonzept im Erwachsenenstrafvollzug und in der Folge ein möglicher, in der Realität aber ein nicht selten eingetretener Rückfall in die Straffälligkeit wird zu einem zunehmenden und nicht weg zu diskutierenden Problem in unseren Anstalten und vor allem gegenüber allen betroffenen Opfern. Opfer erwarten und dürfen zu Recht vom Staat einfordern, dass unter den Bedingungen des Strafvollzuges die Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass alles dafür getan wird, dass ein Straftäter nicht wieder straffällig wird.  

Und auch der Umgang einer Gesellschaft mit Menschen, die straffällig geworden sind, zeigt, welch Geistes Kind sie ist und welche Werte ihrem sozialen Gefüge sowie dem menschlichen Zusammenleben zu Grunde liegen.

In Europa, in Deutschland sind rechtliche Grundlagen des Zusammenlebens unter anderem in der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie im Grundgesetz und in Sachsen-Anhalt in der Landesverfassung verankert. Oberster Grundsatz ist dabei, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Alle Handlungen des Staates, alle Gesetze müssen sich an diesem Grundsatz messen lassen.

Doch wie soll ein Staat Menschen behandeln, die gerade diesen Grundsatz in der Gesellschaft nicht beachten und bewusst dagegen verstoßen haben? Ein Beispiel der jüngsten Geschichte für dieses Problem sind die Vorfälle in der Altmark, der Gemeinde Insel.

Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit. Und gerade verunsicherte und verängstigte Menschen sind leicht beeinflussbar – wie wir an diesem Beispiel erneut sehen konnten. Ich erinnere an die Debatte um die FORENSA in Magdeburg, aber auch an die Suche nach einem Standort für die jetzige JVA in Burg Madl.

Es sind all jene, die politisch Verantwortung tragen, an genau diese Verantwortung mit allem Nachdruck zu erinnern, wenn sie eine Stimmungsmache unterstützen, die Ängste schürt. Jeder Mensch hat nach der Verbüßung seiner Haftzeit das Recht auf eine zweite Chance. Das schließt unwidersprochen ein, dass man die Sorgen und Ängste von Menschen ernst nimmt. Das schließt aber eben auch ein, dass Menschen nach ihrer Haft ihr Recht auf eine freie Wohnortwahl behalten. Die Alternative hierzu wäre: Wegschließen für immer und das möglichst auf einer weit entfernten Insel…. Doch das hat nichts mit einem Rechtsstaat zu tun

Die Entscheidung über das Strafmaß obliegt in der Endkonsequenz der 3. Gewalt im Staat: der Justiz. Und sie tut gut daran, unabhängig in ihrer Entscheidung zu sein. So ist sie nicht dem politischen Willen einer Regierungskoalition – gleich welcher Farbe – unterworfen. Und so unterliegt sie auch nicht dem öffentlichen Druck, dem politische Entscheidungen zum Teil verfallen.

Nun reden wir in diesem Hause nicht das erste Mal über den Strafvollzug, da seit der Entscheidung durch die Föderalismuskommission dieses Thema in die Zuständigkeit der Bundesländer gefallen ist. Das ist keinesfalls ein glücklicher Umstand, denn Strafvollzug sollte nicht in 16 Bundesländern unterschiedlich geregelt sein.

Es war und ist uns ein Anliegen, dass Personen aus Sachsen-Anhalt, die in anderen Bundesländern ihre Haftstrafe verbüßen, ebenfalls in diesem Bundesland eine Behandlung erfahren, die ihnen ein zukünftiges straffreies Leben ermöglichen.
Dieser fachliche Anspruch begründet unsere Motivation und unsere Forderung nach einem abgestimmten Konzept zwischen möglichst allen Bundesländern hinsichtlich analoger Fachstandards und eines gleichwertigen menschenwürdigen Behandlungsvollzugs. Daher begrüßt meine Fraktion ausdrücklich die pünktlich vor unserer Landtagsdebatte erschienene Pressemitteilung des Justizministeriums, wonach nach eineinhalbjähriger Beratung ein Musterentwurf für neue Strafvollzugsgesetze von 10 Ländern vorgelegt wurde. Und Frau Ministerin, wir stimmen darin überein, dass Resozialisierung in den Fokus unserer Entscheidungen gerückt werden muss.
Bei dem zu beratenden Gesetz, bei Personalentscheidungen und auch bei Strukturveränderungen.

Mit dem vorliegenden Antrag haben wir die Überlegungen der länderübergreifenden Zusammenarbeit und die Vorschläge aus anderen Ländern aufgegriffen. Unser heutiger Antrag lehnt sich an und basiert auf Konzeptionen aus Niedersachsen und Brandenburg, die dort debattiert und unterstützt von der CDU, den GRÜNEN und der FDP wurden.

Wir wollen diese parlamentarische Debatte aber auch, um dem nachhaltigen Opferschutz durch eine qualifizierte Strafffälligenhilfe zu entsprechen. Wenn alle Systeme im Vorfeld gescheitert sind, muss spätestens hier auf Netzwerkarbeit und Nachhaltigkeit in der Arbeit des Strafvollzuges gesetzt werde. Und um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir keine, von den Inhalten  losgelöste Strukturdebatte für den Strafvollzug in Sachsen-Anhalt.
Es geht um ein tragbares Gesamtkonzept, von dem die Gesellschaft zu Recht erwarten kann, dass im Strafvollzug eine Tataufarbeitung und Behandlung erfolgt, die ihrem Bedürfnis nach Sicherheit auch entspricht. Und für den, der hinter Gittern sitzt, muss es spätestens jetzt einen letzen Rettungsanker geben, der Möglichkeiten zur Neuorientierung seines Lebens bietet – vorausgesetzt der eigene Wille. Wir müssen akzeptieren, dass es eine 100% Sicherheit nie geben wird. Aber wir müssen alles dafür tun, um uns diesem Ziel zumindest zu nähern.

Im Vorwort des Sozialatlasses des Landesverbandes für Straffälligen- und Bewährungshilfe berühren die Worte des Staatsministers Robra, der auch Vorsitzender dieses Verbandes ist, in voller Nachdenklichkeit. Er führt dort treffend aus: „Hilfe für Straffällige ist für uns ein Wert. Sie ist Ausdruck einer hohen ethischen Verantwortung; in der sich der Einzelne oder die Gemeinschaft auch dem nicht verschließen, der sich durch die Straftat unbewusst oder bewusst gegen sie stellt. Ausdruck einer gesellschaftlichen Hochkultur ist es zulassen zu können, dass es Menschen gibt, die sich nicht normgerecht verhalten, dass wir Anderssein akzeptieren und nicht ausgrenzen, aber auch einschreiten, wenn der im Strafrecht formulierte Minimalkonsens verletzt wird, und wir dennoch Chancen zur Wiedereingliederung, zur Resozialisierung eröffnen.“  

Der Umgang und die Rahmenbedingungen in unserem Land werden sich in an diesen zutiefst humanen und ethischen Grundsätzen zu messen haben. Dem wollen wir mit unserem Antrag entsprechen und bitten dafür um breite Unterstützung.

Es ist zu sichern, dass eine behandlungsorientierte Verbüßung der Haftstrafe im Mittelpunkt aller Bemühungen des Strafvollzuges steht. Inhaftierte Männer werden als Familienväter oder Ernährer von Familien entlassen. Ihr Einfluss in diesen Familiensystemen und ihre Vorbildwirkung prägen in einem nicht zu unterschätzenden Maß die Entwicklung ihrer Kinder. Dem muss man unbedingt gerecht werden.

Dass der Erwachsenenvollzug das erzieherische Element im Gegensatz zum Jugendstrafvollzugsgesetz nicht vorsieht, heißt deshalb nicht, man bräuchte hier nichts zu tun. Ich habe zu Beginn meines Redebeitrages darauf hingewiesen, dass dem Element der Bildung und Ausbildung auch unter den Bedingungen des Erwachsenvollzuges entsprochen werden kann und muss. Es fehlt im Vollzug an Arbeitsmöglichkeiten und wir müssen daher fehlende Arbeit mit entsprechenden Alternativen kompensieren. Ziel muss dabei letztendlich sein, dass sie in Freiheit nicht wieder am Tropf der Sozialkassen hängen.  

Bereits zum Zeitpunkt der Entlassungsvorbereitung (6 Monate vor Entlassung) sind freie Träger und andere Sozialdienste in die aktive Vollzugsplanung der Entlassungsvorbereitung so einzubeziehen, dass sie an den Vollzugskonferenzen teilnehmen und so eine störungsfreie Wiedereingliederung sichern. Damit würde die vorhandene Netzwerkstruktur, die wir als Landtag fördern, optimal im Zusammenwirken genutzt, so wie das bereits in Mecklenburg- Vorpommern geschieht.

Es überrascht im Augenblick nicht, dass selbst entlassene Sexualstraftäter am Tag ihrer Entlassung nicht wissen, wer ihr Ansprechpartner in der Bewährungshilfe ist. (Dieser Zeitraum kann sich auch mal über 2 Monate hinweg ziehen.) Begründet ist die Forderung und unbedingte Notwendigkeit nach verlässlichen Netzwerkstrukturen nicht nur aus sicherheitsrelevanten Aspekten. Netzwerkarbeit kann nur erfolgen, wenn auch Netzwerkpartner vorhanden sind. Dem Problem der Struktur liegt aber auch immer ein inhaltliches Problem zugrunde. Es muss unbedingt ausgeschlossen werden, dass der bestehende Personalnotstand die zukünftige gewählte Struktur für den Strafvollzug vorgibt. Man würde hier sozusagen die Struktur den misslichen Zuständen anpassen.  

20 zusätzliche Stellen wurden durch den Staatssekretär des Justizministeriums versprochen. Was damit jetzt kompensiert wurde, ist spannend zu erfahren, und im Ergebnis wäre zu beurteilen, ob man damit dem Anspruch nach Sicherheit und Resozialisierung gerecht wird. Ich erinnere daran, dass die Landesregierung in der letzten Legislaturperiode mitteilte, dass das Problem der fehlenden Psychologen in den Vollzugsanstalten damit gelöst werde, dass die Vollzugsbeamten und -beamtinnen entsprechende Fortbildungen erhalten.

Die Realität beschreibt der Vorsitzenden des Bundes der Strafvollzugsbeamten, Herrn Uwe Bülau, mit folgenden Worten: „Wir sind personell ausgeblutet, stehen mit dem Rücken an der Wand.“

Eine falsche, nämlich eine viel zu geringe und zu undifferenzierte Planung zur Personaldecke und die nicht ausreichend berücksichtigte hohe durchschnittliche Altersstruktur der Vollzugsbediensteten, mit einem einhergehenden hohen Krankenstand sind der Hintergrund für diese Aussage. Diese Bediensteten leisten täglich eine außerordentliche Arbeit in einem sehr belastenden Arbeitsumfeld. Sie haben zu Recht die Erwartung und Forderung, dass sich diese Landesregierung mit ihren Problemen beschäftigt und nicht nur ein Fachministerium, dem ihre Probleme seit langem bekannt sind.    

Ich werde nun nicht alle Vorschläge für ein zukünftiges Strafvollzugs- bzw. Resozialisierungsgesetz meiner Fraktion vortragen. Diese konnten Sie bereits dem Antrag entnehmen. Doch lassen Sie mich noch etwas zu unseren Strukturen sagen: Bereits 2009 legte eine Expertenkommission hierzu einen Bericht zur Prüfung der Organisation des Justizvollzuges in Sachsen-Anhalt vor. Im Ergebnis stand fest, dass die Vollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt zum Teil unübersichtlich sowie mit maroder Bausubstanz ausgestattet sind und einen großen Anteil an Gemeinschaftsunterkünften besäßen. Sicherheitsrisiken, ein ausgeprägtes Hierarchiedenken zwischen Aufsichtsbehörde und Anstalten und eine restriktive Haushaltspolitik wurden ferner festgestellt, die keinen Spielraum für notwendige Maßnahmen der Personalentwicklungen boten. Gefordert wurde durch die Expertenkommission, dass es keine fiktive, sondern eine am konkreten Bedarf orientierte Personalentwicklung gibt. Gefordert wurde, dass der Justizvollzug komplett aus den personalwirtschaftlichen Sparmaßnahmen der Landesregierung herausgenommen werden muss. Gefordert wurde, dass mit den Anstalten verbindliche Zielvereinbarungen abgeschlossen werden sollten, die Spielraum für Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten böten. Wer sich an die Debatte im Finanzausschuss zu den Landesbetreiben erinnert, das war genau eine Empfehlung, die unter allen Evaluationsberichten stand.

Verbindliche, abrechende Zielvereinbarungen, damit Steuergelder nicht verpulvert werden.
Das ist der richtige Ansatz, an dem wir uns sicher alle treffen können und den der Finanzausschuss der letzten Legislaturperiode einvernehmlich zugestimmt hat. In der Folge des Berichtes beschloss der Landtag die Schließung der Anstalten in Stendal und Halberstadt und folgte damit bereits in Teilen den Empfehlungen der Expertenkommission und veränderte damit die Vollzugslandschaft.

Nunmehr bedarf es einer erneuten Evaluation der Vollzugslandschaft und entsprechender Maßnahmen. Dies soll jedoch nicht im Geheimen und ausschließlicher auf exekutiver Ebene geschehen, sondern aus Sicht der LINKEN insbesondere unter Beteiligung des Landtages. Daher die entsprechende Formulierung in unserem heutigen Antrag.

Ich habe natürlich erfreut festgestellt, dass kürzlich wiederholt eine Expertenkommission einberufen wurde, um die Strukturen in Sachsen-Anhalt auf den Prüfstand zu stellen. Zustände im offenen Vollzug, der mangels Personal nicht ausgelastet wird, müssen dabei ausgewertet und in der Zukunft der Vergangenheit angehören. Ich denke, es ist auch im Interesse der Strafvollzugsbeamten, dass wir schnell Klarheit über die künftige Struktur besitzen. Die Eröffnung von Burg Madl hat gezeigt, dass persönliche Schicksale und familiäre Situationen damit eng zusammenhängen.
Familien müssen ggf. einen neuen Lebensmittelpunkt finden, und da sollte schnell Klarheit darüber bestehen, welche Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt erhalten bleiben bzw. welche evtl. geschlossen werden. Auch das verstehe ich unter Fürsorgepflicht des Dienstherrn.

Das Thema Strafvollzug sollte zumindest im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung regelmäßig auf der Tagesordnung stehen. Unsere besondere Verantwortung habe ich deutlich dargestellt - sowohl gegenüber der Bevölkerung, den betroffenen Opfern, und auch gegenüber den Häftlingen. Daher unser Vorschlag zur vierteljährlichen Berichtspflicht der Landesregierung.