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Eva von Angern zu TOP 08: Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes in Sachsen-Anhalt (AG ThUG LSA)

Wir sprachen das letzte Mal im November 2010 über das Thema Sicherungsverwahrung und befanden uns auch schon damals in dem Dilemma zwischen dem berechtigten Interesse der Allgemeinheit auf Schutz und Sicherheit und dem Freiheitsrecht des von der Maßregel Betroffenen.
Und auch schon im November stand aus Sicht der LINKEN fest, dass die Psychiatrie keine Notlösung bzw. kein Auffangbecken für ungelöste Fälle des Strafrechts sein darf.
Ich verstehe den Wunsch der Landesregierung nach einer schnellen Lösung aufgrund eines nicht unwahrscheinlichen Druckes aus der Öffentlichkeit, und dennoch sage ich, lassen Sie uns prüfen, was tatsächlich erforderlich, geeignet und verhältnismäßig ist.

Die klare Ansage des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 ist, dass präventive, nicht dem Schuldausgleich dienende Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht nur zum Schutz hochwertiger Rechtsgüter unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig sind. Daher ist es auch völlig unangemessen und vor allem politisch unseriös, dass der Gesetzentwurf schon im Juni wieder den Landtag verlassen soll.

Denn was bedeutet das?

Das bedeutet, dass es - außer mittels Sondersitzung des Ausschusses und Nichteinhaltung von seriösen Einladungsfristen für die Anzuhörenden - keine Anhörung geben kann. Wollen wir diese Legislatur, die Beratung des ersten Gesetzentwurfs in diesem hohen Haus wirklich so beginnen?

Das heißt weiter, diejenigen, wie Träger des Maßregelvollzugs, die schon im letzten Jahr massiven Protest gegen eine Unterbringung in ihren Anstalten vortrugen, sollen nicht gehört werden?

Das heißt dann, dass die neben dem Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zuständigen Ausschüssen nicht mit beraten?

Gerade weil wir es hier mit einem solch sensiblen Thema zu tun haben, ist dies jedoch unerlässlich. Zudem vertritt DIE LINKE die Auffassung, dass wir als erste Gewalt im Staat nicht allein darauf warten können, was die dritte Gewalt so nach und nach ausurteilt.

Grundlage ist die Europäische Menschenrechtskonvention und damit europäisches Verfassungsrecht. Daran müssen sich alle bestehenden Gesetze und auch alle Gesetzesvorhaben messen lassen. Daher beantrage ich für meine Fraktion die Überweisung in die Ausschüsse für Recht, Verfassung und Gleichstellung, für Arbeit und Soziales sowie für Finanzen und natürlich die Durchführung einer gemeinsamen Anhörung.

Doch nun noch ein Blick in den vorliegenden Gesetzentwurf:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat uns aufgetragen, die Sicherungsverwahrten nicht nur unterzubringen, sondern vor allem Sorge dafür zu tragen, dass die Wiedereingliederung in die Gesellschaft das oberste Ziel ist.
Liest man mit dieser Intention die Begründung des Gesetzentwurfes zu § 2, so ist festzustellen, dass ausschließlich die Maßregelvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt medizinisch-therapeutische Angebote vorhalten. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass unsere Justizvollzugsanstalten keine psychotherapeutischen Angebote vorhalten?

Das würde eine Bankrotterklärung an den gesetzlich vorgeschriebenen Behandlungsvollzug darstellen. Dies widerspricht ganz klar der Ultima-Ratio-Forderung des Bundesverfassungsgerichts, und das müssen wir dringend im Ausschuss beraten. Wir müssen hinterfragen, welche „Erfolge“ wir tatsächlich mit dem in den Anstalten vorhandenen Personal erzielen. Es ist auch zu hinterfragen, ob das Personal ausreicht, um tatsächlich den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Gegebenenfalls muss auch das Personalentwicklungskonzept diesbezüglich nachgearbeitet werden.

Mehr Personal im Strafvollzug ist keine populäre Forderung. Jedoch sollten wir den Nutzen darstellen, nämlich die in der Folge eingesparten Kosten. Ganz nebenbei haben wir auch die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten.

Hinzu kommt die Klärung der Frage der „nicht krankhaften psychischen Störung“. Es geht letztendlich um die Klärung des Problems für das Wegsperren von Tätergruppen aufgrund eines weit gefassten und nicht klar umrissenen Begriffes der „psychischen Störung“. Und man etikettiert Menschen um zu psychisch Gestörten, obwohl sie als schuldfähig mit einer Strafe belegt wurden.

Und ein „Problem“ lässt auch der vorliegende Gesetzentwurf offen: Was geschieht mit vermeintlich unbehandelbaren bzw. behandlungsunwilligen Tätern?
Und die damit einhergehende Frage: Was kennzeichnet einen Rechtsstaat und was muss ein Rechtsstaat aushalten?

Bevor das Gesetz den Landtag verlässt, muss entgegen der Gesetzesbegründung dringend klar gestellt werden, dass es, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, einer jährlichen Prüfung der Fortdauer bedarf.

Wir benötigen eine ehrlich, aber keine angstfördernde populistische Debatte. Wir brauchen Aufklärung und keine Dämonisierung. Politik muss Ängste in der Gesellschaft ernst nehmen, aber zugleich die Differenz zwischen objektive Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsempfinden aufzeigen.