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Thomas Lippmann zu TOP 6: Aktuelle Debatte "Streik im Öffentlichen Dienst - Der Zwang zum Arbeitskampf ist ein Armutszeugnis

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

„Klatschen allein reicht nicht!“. Es ist zum geflügelten Wort geworden – auch für die laufende Tarifrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Kommunen. Spätestens jetzt ist dafür die Stunde der Wahrheit gekommen. Jetzt muss diese Erwartung der Beschäftigten an die Arbeitgeber, an die Politik und an die Gesellschaft erfüllt werden. Oder es bleibt wieder einmal nur eine der üblichen hohlen Phrasen.

Pflegekräfte, Erzieherinnen, Bus- und Straßenbahnfahrer oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen stehen seit dem Beginn der Pandemie wie andere Berufsgruppen mit ihrer systemrelevanten Arbeit im Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie sind es, die unser privates und gesellschaftliche Leben in dieser Ausnahmesituation am Laufen gehalten haben und es weiter am Laufen halten. Und sie sind oft weit über das normale Maß hinaus belastet.

Die öffentliche Anerkennung für die Kolleginnen und Kollegen an der vordersten Corona-Front war wichtig und sie haben sie wirklich mehr als verdient. Aber die Beschäftigten erwarten auch, dass sie diese Wertschätzung nicht nur verbal, sondern auch in ihrem Portemonnaie verdienen. Jetzt, wo der Wert ihrer Arbeit so spürbar geworden ist wie nie zuvor, dachten die Kolleginnen und Kollegen völlig zu Recht – wann, wenn nicht jetzt!

Doch wenn es ans Bezahlen geht, drehen sich wieder alle weg. So erleben es derzeit die Beschäftigten in den Städten und Gemeinden in der aktuellen Tarifrunde. Denn die beklatschten systemrelevanten Arbeiten werden auch von tausenden Beschäftigten in kommunalen Unternehmen und natürlich in den kommunalen Verwaltungen erbracht – dort vor allem in den Gesundheitsämtern, wie wir täglich verfolgen können, aber auch in vielen anderen Verwaltungsbereichen.

Ja, dieser Arbeitskampf kommt zur Unzeit und er ist für alle eine zusätzliche Belastung. Doch es sind nicht die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften, denen hier Verantwortungslosigkeit, Unsensibilität oder Maßlosigkeit vorzuwerfen wäre. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist selbstverständlich klar, dass die anhaltende Infektionslage kein gutes Umfeld für Streiks im öffentlichen Dienst bietet. Sie kennen natürlich die angespannte Situation nur zu gut. Deshalb findet die Auseinandersetzung bisher auch mit gebremstem Schaum statt, da haben wir schon ganz andere Kämpfe im öffentlichen Dienst erlebt.

Es war auch von Beginn an der Wille der Gewerkschaftsseite, nach dem Start Mitte Juni die Verhandlungen noch im Sommer zu beenden und einen schlichten Übergangstarifvertrag abzuschließen. Ohne die Entgelttabellen zu kündigen hatten die Gewerkschaften den Kommunalen Arbeitgebern vorgeschlagen, sich für die Laufzeit von einem halben Jahr auf eine Einmalzahlung für alle Beschäftigten zu einigen.

Auf diesen vernünftigen Vorschlag sind die kommunalen Arbeitgeber nicht eingegangen. Sie wollen eine Nullrunde durchsetzen und das mit aller Macht und ohne Rücksicht auf die Stimmungslage in der Belegschaft. Natürlich begründen sie ihre Blockade dabei mit den befürchteten, pandemiebedingten Einschnitten in die kommunalen Haushalte. Doch das bedeutet nichts anderes, als dass gerade die Helden der Krise jetzt für die Kosten der Krise bezahlen sollen. Das ist das Gegenteil von Wertschätzung, das ist Ignoranz und Missachtung.

Es ist deshalb auch unsachlich und unfair, wenn sich die öffentliche Meinung gegen die kommunalen Beschäftigten und die ver.di-Funktionäre wendet, nur weil die ihre Rechte wahrnehmen und ihr legitimes aber auch einziges Druckmittel einsetzen. Den Arbeitskampf in Corona-Zeiten haben nicht die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften zu verantworten, sondern die kommunalen Arbeitgeber. Und nachdem wir alle im Frühjahr hier im Plenum unsere „DANKE“ – Schilder in die Kameras gehalten haben, sollten wir jetzt auch eine Botschaft der Solidarität mit den kommunalen Beschäftigten aus dem Parlament nach außen tragen. Das sind wir den Beschäftigten schuldig!

Wir sind ihnen aber auch noch mehr schuldig. Nämlich endlich konkret mit der Debatte zu beginnen, wer für die finanziellen Folgen der Corona-Hilfsmaßnahmen und für die erwarteten Einnahmeausfälle eintreten muss. Denn natürlich fällt es den kommunalen Arbeitgebern nicht leicht, ein vernünftiges und angemessenes Tarifangebot auf den Verhandlungstisch zu legen, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihnen eine neue Verschuldungs- und Konsolidierungswelle ins Haus steht. Natürlich verweisen die Kommunen zu Recht auf ihre klammen Kassen. Die Kommunen können keine Ausgaben mehr kürzen und kein Personal mehr abbauen, um Tarifsteigerungen zu kompensieren.

Das alles ist längst überreizt und viele Kommunen schlittern mit dem Haushalt für das nächste Jahr wieder tiefer in die Verschuldung. Und dennoch: Die kommunalen Beschäftigten müssen ordentlich bezahlt werden, gerade jetzt in der Krise. Dafür muss die Finanzausstattung der Kommunen deutlich verbessert werden. Man kann die berechtigten Forderungen der Beschäftigten nicht mehr weiter gegen die Finanznot der Kommunen ausspielen. Das ist viele Jahre lang genau so gelaufen, damit muss Schluss sein.

Ja, liebe Koalition, sie haben das Volumen des FAG für die Dauer der Legislatur festgeschrieben und gegenüber dem kommunalen Kahlschlag in der 5. und 6. Wahlperiode, gab es ein kurzes Aufatmen in den Städten und Gemeinden. Aber das Volumen war von Anfang an um bis zu 500 Mio. Euro zu niedrig und vor allem: Es stagniert und wird nicht einmal entsprechend der Inflation und der Tarifentwicklung angehoben. Nach dem Doppelhaushalt 2017/18 war es mit dem Aufatmen vorbei, seitdem war absehbar, dass immer mehr Kommunen ihre Handlungsunfähigkeit wieder verlieren werden.

Der Ausgang dieses Arbeitskampfes hat über diese Tarifrunde hinaus Signalwirkung. Es ist die Nagelprobe dafür, wem die Kosten der Krise auferlegt werden. Wir haben schon mit der Einbringung des Corona-Nachtragshaushalts und auch später immer wieder darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem die Rechnung aufgemacht wird. Jetzt nehmen diese Auseinandersetzungen konkrete Züge an. Unser demokratisches Gemeinwesen wird tiefgreifenden und nachhaltigen Schaden nehmen, wenn jetzt nicht endlich umgesteuert wird. Für die Kosten der Krise dürfen nicht wieder die abhängig Beschäftigten und auch nicht die kommunalen Haushalte bluten.

Wenn sich die kommunalen Arbeitgeber jetzt durchsetzen, ist bei anhaltenden Finanzproblemen der Kommunen mit weiteren Nullrunden zu rechnen. Und die Tarifrunden für die Kommunen zeichnen immer auch die Tarifrunden für die Länder vor. Eine oder mehrere Nullrunde für die kommunalen Beschäftigten bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine oder mehrere Nullrunde für die Landesbeschäftigten – für Polizisten, für Lehrkräfte und die übrige Landesverwaltung.

Auch wenn wir als Landesparlament nicht Tarifpartner sind, so sind wir in dieser Tarifrunde doch mindestens mittelbar beteiligt – als Finanzier der Kommunen und als Besoldungsgesetzgeber für die Landesbediensteten. Wir sollten also in mehrfacher Hinsicht an einem schnellen und guten Ende der Tarifrunde interessiert sein. Denn es bleibt weiter richtig: „Klatschen allein reicht nicht!“